
Kranke Kinder begleiten - Femmes Tische
Set mit Karten
Der Verein Femmes-Tische / Männer-Tische Schweiz ist ein Netzwerk für vulnerable und sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Der Verein bietet für Menschen mit Migrationsbiografie Gesprächsrunden an, deren Ziel es ist, niederschwellig Wissen zu vermitteln.
Im Gespräch erzählen zwei Vertreterinnen von Femmes-Tische / Männer-Tische Schweiz, warum sie diese Arbeit machen.
Yvonne: Ich bin Yvonne Ledergerber und arbeite insgesamt seit 2012 bei Femmes-Tische / Männer-Tische mit, aber nicht immer in der gleichen Funktion. Früher war ich Standortleiterin, von daher kenne ich auch Sara. Seit 5 Jahren arbeite ich für die Geschäftsstelle Femmes-Tische / Männer-Tische Schweiz und koordiniere in dieser Funktion vor allem die Standorte in der Nordostschweiz.
Sara: Ich bin Sara Aslan. Ich arbeite seit 2007 bei Femmes-Tische / Männer-Tische und habe in Biel im Kanton Bern angefangen. Ich bin zuständig für die Arabisch sprechenden Teilnehmerinnen unserer Gesprächsrunden und leite inzwischen vermehrt Gesprächsrunden auf Deutsch. Yvonne habe ich durch den Standort Zürcher Unterland kennengelernt. Seit 2013 arbeite ich hier in Zürich.
Yvonne Ledergerber (Leiterin Femmes-Tische / Männer-Tische Geschäftsstelle Nord-Ost), Sara Aslan (Leiterin Gesprächsrunden Femmes-Tische / Männer-Tische), Janine Aegerter (Projektleiterin und Leiterin Digitale Medien Careum Verlag). Bild: Careum Verlag
Yvonne: Das Angebot richtete sich zu Beginn an Schweizerinnen, doch wir merkten bald, dass Schweizerinnen auch selbstständig von bestehenden Kursangeboten profitieren und sich diese auch leisten konnten. Frauen mit einer Migrationsbiografie hingegen konnten dies eher weniger. Und so hat man das Angebot relativ schnell angepasst.
Yvonne: Genau. Unser Ziel ist, niederschwellig Wissen zu vermitteln. Es geht um Wissensvermittlung, Erfahrungsaustausch, Netzwerk. Es geht darum, Informationen zu erhalten und das ‘Erfahrungslernen’ zu ermöglichen, wie wir es nennen, oder um den Erfahrungsaustausch zu stärken.
Projektleiterin Janine Aegerter im Interview. Bild: Careum Verlag
Yvonne: Die Hauptschwerpunkte drehen sich um Familie, Integration und Gesundheit – beispielsweise Liebe, Ehe, Partnerschaft, Ernährung, Bewegung, die Begleitung kranker Kinder, also Gesundheitskompetenz.
Yvonne: Genau. Grundsätzlich basiert jede Gesprächsrunde auf einem Film oder auf Fotokarten oder Bildkarten. Zu jedem Moderationsset gibt es eine Moderationsanleitung. Und anhand dieses Materials, wie zum Beispiel beim Set ‘Kranke Kinder begleiten’, werden die Themen aufgegriffen. Die Gruppe wählt dann zusammen das Thema oder steuert das Thema dorthin, wo die Interessen und Fragen am stärksten sind. Das vorhandene Material dient also dazu, dass man den Einstieg erleichtert und dadurch abfragen kann, was die Teilnehmenden aktuell am meisten beschäftigt, welches Thema sie vertieft diskutieren wollen und was sie darüber wissen. Jedes Moderationsset enthält zudem eine Liste mit Beratungsangeboten oder Empfehlungen für weiterführende Webseiten in verschiedenen Sprachen. Die Moderatorin oder der Moderator geben je nachdem ebenfalls Tipps weiter, entsprechend den Fragen und Bedürfnissen der Teilnehmenden.
Sara: Wenn die Teilnehmerinnen einander nicht kennen, gibt es eine Vorstellungsrunde. Sehr wichtig zu erwähnen ist am Anfang, dass alles, was besprochen wird, in der Runde bleibt. Danach beginnen wir, mit den Materialien zu arbeiten. In unseren Gesprächsrunden lernen die Teilnehmerinnen viele Sachen neu. Zum Beispiel, wenn wir über Fieber sprechen, das grösste Thema bei Kleinkindern: Wie sie mit Fieber umgehen und was genau zu tun ist, wann es gefährlich ist, wo es Grenzen gibt. Das heisst, dass sie die gemeinsamen Erfahrungen verbinden können mit dem, was auf den Karten steht, und daraus ergibt sich dann ein Ganzes. Zum Schluss frage ich die Teilnehmerinnen, was sie heute zum ersten Mal erfahren oder gehört haben. Oder was sie mit nach Hause nehmen.
Sara: Ich finde es sehr spannend und sehr schön, im Kontakt mit Menschen zu sein. Unsere Gesprächsrunden sind immer sehr herzlich, die Frauen kommen sehr gerne zusammen, wir lassen alle unsere Sorgen beiseite. Diese Form von Gesprächsrunden findet man nicht überall. Wir werden diese Diskussionen, die daraus entstehen, nie vergessen. Denn wenn jemand seine Erfahrung mit mir teilt und mich das berührt, nehme ich das mit.
Wenn jemand seine Erfahrung mit mir teilt und mich das berührt, nehme ich das mit.
Sara: Dass es schwierig ist, passiert ganz selten, aber ab und zu kann es passieren, dass sich eine Frau in einer Runde an etwas Schweres erinnert. Ich freue mich für die Frauen, wenn sie dies herausbringen können, das ist auch etwas Gutes, aber als Moderatorin ist es natürlich nicht einfach für mich. Da geht es darum, das anzunehmen, zu beruhigen und mit dem Thema weiterzugehen.
Sara: Genau: Es ist sehr wichtig, sich bewusst zu sein, dass wir hier in Kontakt mit Menschen sind. Diese Menschen müssen wir ernst nehmen, damit sie sich gehört fühlen.
Yvonne: Für solche Situationen, wo Moderierende belastende oder schwierige Momente in der Moderation von Gesprächsrunden erleben, bieten wir unserem Netzwerk von mittlerweile fast 400, Moderierenden in der ganzen Schweiz Supervision an mit einer Fachperson. Das ist ein wichtiges Gefäss, um Unterstützung zu bekommen und über Themen zu sprechen, die vielleicht an anderen Stellen keinen Platz finden. So können wir Moderierende auffangen mit ihren Themen, die sie aus Gesprächsrunden mitnehmen oder die sie belasten.
Yvonne Ledergerber (Leiterin Femmes-Tische /Männer-Tische Geschäftsstelle Nord-Ost). Bild: Careum Verlag
Yvonne: Als ich noch Standortleiterin war, erzählte mir eine Moderatorin, sie hätte eine sehr schwierige Gesprächsrunde erlebt. Es sei dabei zu einem Thema von Kindern und Baden und Krieg gekommen. Und in der Runde gab es eine Teilnehmerin, die ihr Kind während des Kriegs in der Badewanne verloren hat. Bei ihr ist dadurch ein krasses Bild aufgetaucht, sie hat nur noch geweint und es ist alles hochgekommen. Die Moderatorin war glücklicherweise eine erfahrene Moderatorin, aber sie hat trotzdem auch mit sich gerungen. Da geht es wirklich häufig darum, etwas auszuhalten, diesen Moment einfach mal geschehen zu lassen, diesen Rahmen zur Verfügung zu stellen und nicht in Aktivismus zu verfallen. Aber trotzdem sind dies belastende Situationen. Ich glaube, das würde uns allen auch nicht anders ergehen. Genau solche Momente muss man nachbesprechen können, damit man sie nicht ewig mit sich herumträgt.
Sara: Ja. Ich habe kürzlich in das Thema einer Gesprächsrunde eingeführt. Das Thema war «Meine Familie, mein Beruf», und ich habe erklärt, dass wir alle unterschiedlich sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Es gibt diejenigen mit grossen Familien, andere haben kleinere Familien, andere sind ganz alleine. Plötzlich war einer Teilnehmerin schwindlig. Sie konnte nicht mehr sitzen und musste sich auf den Boden legen. Glücklicherweise konnte jemand organisieren, dass die Frau mit jemandem nach Hause ging und wir konnten in der Runde weitermachen. Die Teilnehmerinnen sagten mir dann, dass diese Frau alleine wohnt. Die Runde war öffentlich, das heisst, dass ich nicht den Hintergrund von allen Teilnehmerinnen kannte. Doch jetzt wissen wir, dass diese Frau unsere Unterstützung braucht.
Yvonne: Ich möchte noch etwas an das Thema anfügen. Wir haben ein breites Themenspektrum und es gibt darunter Themen, die eher aufwühlen können, wie beispielsweise Rassismus. Gleichzeitig gibt es leichtere Themen, die nicht so ans «Eingemachte» gehen. Nicht dass der Eindruck entsteht, wir überfordern unsere Moderierenden mit solchen Situationen.
Eine Auswahl von Informationsbroschüren über den Verein Femmes-Tische/Männer-Tische. Bild: Careum Verlag
Yvonne: Steffi Wirth und Jean Pierre Weiss, die den Verein 1996 gegründet haben, suchten einen Namen, der möglichst nah an diesem Begriff des Stammtisches ist, den es ja früher in allen Restaurants gab. Diese Stammtische, wo über Themen diskutiert wurde.
Yvonne: Femmes-Tische wird im 2026 30 Jahre alt. Wir sind in diesen Jahren so eine Art Kompetenzzentrum geworden. Aber der Wettbewerb greift. Auf der einen Seite finde ich Wettbewerb okay und auf der anderen Seite hoffe ich, dass wir weiterhin 30 Jahre mit genügend Finanzen das tun können, was wir gut machen und weiterwachsen und dennoch unser aller Ressourcen Sorge tragen können. Das, was wir tun, machst du entweder mit Herzblut, oder du lässt es.
Sara: Ich finde es toll, was Femmes-Tische und Männer-Tische leistet. Viele Menschen können davon profitieren. In Diskussionen über wichtige Themen zu reden, das finde ich sehr wichtig, auch wenn wir zum Beispiel gemischte Runden haben. Wenn Schweizerinnen mit Migrantinnen zusammen sind und einander zuhören, können sie einander besser verstehen. Ich glaube, dass wir eine grosse Änderung bewirken können in dieser bunten Gesellschaft, die wir hier haben in der Schweiz. Manchmal habe ich Gesprächsrunden mit 11 Nationalitäten. Wenn wir all diese Kulturen zusammen an einen Tisch bringen, zu einer Diskussion finde ich das sehr schön und es hilft auch sehr. Es hilft zu spüren: «Ich gehöre hierher, ich bin nicht so fremd. Ich bin nicht nur diese Ausländerin.» Ich finde das sehr wichtig.
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