Dialog 2023: Eine geballte Ladung Gesundheitskompetenz
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Der Careum Dialog 2023 stand ganz im Zeichen der Gesundheitskompetenz. Rund 60 eingeladene Fachpersonen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gingen der Frage nach, wie sich die Gesundheitskompetenz weiter voranbringen und nachhaltig stärken lässt.
Gesundheitskompetenz ist kein «Nice-to-have» oder ein «Add-on», es ist ein «Must-have» und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Darin waren sich die rund 60 Fachpersonen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz am Careum Dialog 2023 einig. Zudem bietet die Gesundheitskompetenz die Möglichkeit, um die Herausforderungen in Zeiten der Polykrise mit steigenden Gesundheitskosten, Fachkräftemangel oder digitaler Transformation zu meistern.
Impressionen vom Dialog 2023
Erfahren Sie im Video, wie die Teilnehmenden den Careum Dialog 2023 erlebt haben und was sie mitnehmen.
Co-Moderatorin Ilona Kickbusch, Gründerin und Vorsitzende des Global Health Centre, stellte fest, dass das Thema Gesundheitskompetenz schon mehr in den Köpfen angekommen ist als noch beim letzten Careum Dialog zum gleichen Thema im Jahr 2017. So gibt es mittlerweile mehr Strukturen, Netzwerke und Initiativen dazu. Insofern war der erneute transnationale Austausch am Careum Dialog 2023 sehr wertvoll und bot die Gelegenheit für eine verstärkte Zusammenarbeit der DACH-Länder.
Neues Konzept von Gesundheitskompetenz in den letzten Zügen
Bei Careum ist das Thema Gesundheitskompetenz fest in der Strategie verankert, wie Co-Moderatorin Saskia De Gani, Leiterin des Zentrums für Gesundheitskompetenz bei Careum, in ihrem Eröffnungsreferat ausführte. Aktuell entwickelt sie mit ihrem Team gerade ein neues Konzept von Gesundheitskompetenz für die Schweiz, das sich in den letzten Zügen befindet.
Daneben präsentierte Saskia De Gani aktuelle Studiendaten zur Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung und bei Gesundheitsfachpersonen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Fazit: Ein grosser Teil der Einwohner:innen hat eine geringe Gesundheitskompetenz. Vor allem das Beurteilen von Gesundheitsinformationen fällt schwer. Mühe bereitet aber auch die Orientierung im Gesundheitssystem. Defizite gibt es auch bei den Gesundheitsfachpersonen. Ihnen fällt es etwa schwer, Patient:innen im Umgang mit digitalen Gesundheitsinfos zu unterstützen.
Plädoyer für die Einbindung von Patient:innen und deren Angehörige
Darauf folgten Einschätzungen aus drei Perspektiven. Den Anfang machte Patientenvertreterin Birgit Bauer, MS-Betroffene und Gründerin der Initiative Data Saves Lives Deutschland. Sie hielt ein flammendes Plädoyer für die Einbindung von Patient:innen und deren Angehörige in Entscheidungsprozesse. «Denn oft passt es uns nicht, wenn wir einfach etwas vorgesetzt bekommen.» Sie hielt auch nicht mit Kritik zurück: So bemängelte sie etwa teils falsche Informationen auf dem deutschen Gesundheitsportal und dass unterstützende digitale Anwendungen bei der Ärzteschaft zu wenig verankert seien. Alexander Schmidt-Gernig vom deutschen Bundesministerium für Gesundheit hielt die Kritik für berechtigt und betonte, dass «bottom-up» Ansätze vermehrt berücksichtigt werden müssten.
Philippe Luchsinger, Präsident der Schweizer Haus- und Kinderärzte, musste zugeben, dass Gesundheitskompetenz in der Ärzteschaft eher noch ein «Fremdwort» sei. Er sah vor allem ein Ressourcenproblem: Es bleibe immer weniger Zeit für Gespräche mit Patient:innen. Er betonte zudem, dass die Berücksichtigung von kulturellen Aspekten wichtig sei.
Für Nicole Burth, Leiterin Kommunikations-Services bei der Schweizerischen Post, führt kein Weg an Digital Health vorbei. Man müsse die Menschen dazu aber befähigen. «Wenn man schwimmen lernen will, muss man auch zuerst mal nass werden.»
Schweiz würde Aktionspläne der Nachbarländer am liebsten kopieren
In Einzelreferaten und der Podiumsdiskussion mit Vertretenden aus den Gesundheitsministerien und -ämtern der drei Länder zeigte sich: Es besteht kein Erkenntnis-, sondern eher ein Umsetzungsproblem. Das heisst: Nicht alles kommt breitenwirksam an. Dabei wurde auch klar, dass die Schweiz die Aktionspläne der Nachbarländer am liebsten kopieren würde.
Auch wurden viele Handlungsfelder genannt. Zum Beispiel: Niederschwellige Angebote entwickeln, früh in der Schule ansetzen, Vermittlungsinstanzen fördern, vulnerable Gruppen erreichen, Lücken in der organisationalen Gesundheitskompetenz schliessen oder die Wirkung von Gesundheitskompetenz aufzeigen.
Slampoetin Martina Hügi fasste den ersten Tag des Careum Dialogs 2023 schliesslich humoristisch zusammen. So bezeichnete sie etwa Co-Moderatorin Ilona Kickbusch als «health angel».
Stärkung der Gesundheitskompetenz: von der Gesundheitsrallye zum Patientenbrief
Am zweiten Tag wurden konkrete Ansätze zur Stärkung der Gesundheitskompetenz aus den drei Ländern präsentiert. Das Projekt Nebolus etwa fördert spielerisch die Gesundheitskompetenz, indem Jugendliche und junge Erwachsene auf einer interaktiven Rallye – einer Art Foxtrail – die Gesundheitsangebote in ihrer Nähe kennenlernen. Der automatisierte Patientenbrief von «Was hab ich?» informiert derweil Patient:innen nach einem Spitalaufenthalt individuell und in einfacher Sprache über ihre Gesundheit und Folgemassnahmen. Zudem wurden die österreichische Plattform für Gesundheitskompetenz und Kommunikationstrainings für Gesundheitsberufe vorgestellt.
Danach waren die Teilnehmenden selbst gefordert, innovative Ideen zu entwickeln. Am meisten Zuspruch erhielt ein «Videothon» analog zum Hackathon, bei dem ein Contest zur Entwicklung von Gesundheitsvideos für eine junge Zielgruppe veranstaltet wird. Am dringendsten wurde derweil ein Übersetzungstool für die Notfallambulanz erachtet, das ein schnelles Erfassen der Gesundheitsprobleme trotz Sprachbarriere ermöglicht. Dies soll nun in einer am Careum Dialog 2023 neu entstandenen Kooperation angegangen werden.
Zum Abschluss wagte Sang-Il Kim, Dozent für Medizininformatik an der Berner Fachhochschule, noch einen Blick in die Gesundheitswelt der Zukunft. Er zeigte auf, wie Gesundheitsfachpersonen – dank technischer Unterstützung – künftig mehr Zeit für die Patient:innen haben könnten. In seinen Augen ist in Sachen künstlicher Intelligenz und neuer Technologien eigentlich schon alles vorhanden. «Wir müssen es nur noch sinnvoll nutzen.»
Die Erkenntnisse aus dem Careum Dialog 2023 sind in ein Working Paper zur Veranstaltung eingeflossen.
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