Pflegerin kümmert sich um Patientin

«Personenzentrierte Versorgung liegt mir am Herzen»

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Forschung hat am Careum Campus Tradition: Ein interdisziplinäres Team aus Pflege-, Gesundheits- und Sozialwissenschaftler:innen forscht praxisorientiert in diversen Projekten. Zentrale Themen sind das selbstbestimmte Leben mit chronischer Krankheit, die Förderung der Gesundheitskompetenz und des Selbstmanagements in der Gesellschaft sowie personenzentrierte Versorgungsansätze.

Die personenzentrierte Versorgung ist ein gesellschaftlich aktuelles Thema. Im Sinne einer personenzentrierten Versorgung stellen wir Erfahrungen und Bedürfnisse von Patient:innen verstärkt in den Mittelpunkt unserer Forschung. Patient:innen möchten ernst genommen und in Entscheidungen zu ihrer Gesundheit involviert werden. Sie sind «Expertinnen und Experten aus Erfahrung». 

In Forschungsprojekten sollen Fragen zu Versorgungsqualität und -koordination sowie Patient Involvement und Empowerment untersucht werden. Wir haben Dr. Karin Ribi von der Careum Hochschule Gesundheit gefragt. Sie erforscht, wie personenzentrierte Versorgung aussehen kann.

Liebe Karin, Du bist promovierte Psychologin und Public Health Expertin. Was ist Deine Aufgabe hier in der Forschungsabteilung der Careum Hochschule Gesundheit?

Karin Ribi: «Meine Aufgabe ist es, einen neuen Forschungsschwerpunkt aufzubauen, bei dem die individuellen Erfahrungen, Bedarfe und Bedürfnisse von Patient:innen im Kontext des Gesundheits- und Sozialwesens im Mittelpunkt stehen. Im Fokus steht die Komplexität des Lebens mit (chronischer) Krankheit und die damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen, die sich aus der Behandlung und Betreuung ergeben. Krankheit und Gesundheit sollen jedoch als Kontinuum verstanden werden, das heisst, dass auch die Erfahrungen von Personen, die vielleicht noch keine Diagnose haben oder (noch) nicht Patient:in sind, berücksichtigt werden.»

Was hast Du vorher gemacht?

«Ich habe mich während vieler Jahre mit der Lebensqualität von Menschen mit Krebs befasst. Dies insbesondere im Rahmen von klinischen Studien, die untersuchten, wie neue Krebsbehandlungen wirken. Ich habe untersucht, wie es den Menschen dabei geht, wie sich die Behandlungen auf ihre Lebensqualität auswirken. Es ging darum, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Mittlerweile gibt es standardisierte Befragungen, in denen Patient:innen selber über die Auswirkungen der Krankheit und Therapien berichten, einerseits im Rahmen von klinischen Krebsstudien, andererseits vermehrt auch routinemässig im Rahmen ihrer Behandlung. Das war zu Beginn meiner Tätigkeit vor rund 20 Jahren noch nicht selbstverständlich.»

Was bringst Du von vorher mit und kannst nun mit der jetzigen Tätigkeit verbinden?

«Die Sicht von Betroffenen und die subjektiven Erfahrungen von Patient:innen mit chronischer Krankheit beforschte ich schon lange. Ich kenne mich insbesondere mit den verschiedenen Möglichkeiten der standardisierten Erhebung der Lebensqualität und anderen psychosozialen Folgen von Krankheit und Behandlung aus. Dies ermöglicht, quantitative Aussagen darüber zu machen, ob Betroffene ihr Leben trotz Erkrankung und Behandlung gut leben können und welche weiteren Faktoren das möglicherweise beeinflussen. Allerdings kommt dabei die individuelle Perspektive zu kurz. Darum ist es auch wichtig, zusätzlich mit qualitativen Methoden zu arbeiten. So kann man die Erfahrungen und Anliegen von Menschen mit chronischen Krankheiten oder einem Gesundheitsanliegen vertieft verstehen. Auch hier bringe ich Erfahrung mit. Ein Beispiel: In einer Studie, die ich mitgeleitet habe, haben wir Menschen mit Krebs zu ihren Erfahrungen mit der Krebsbehandlung während der Pandemie befragt, indem wir Interviews mit ihnen geführt haben.»

Karin Ribi

Dr. Karin Ribi

«Als Psychologin liegt mir die ganzheitliche Betrachtung einer Person und ihrer Lebenswelt am Herzen.»

Was heisst für Dich «patientenzentriert»?

«Patientenzentriert ist ein viel verwendeter Begriff. Er bedeutet, dass der Patient oder die Patientin im Mittelpunkt steht und sich die Gesundheitsversorgung nach den Bedürfnissen von denen richten soll, die sie in Anspruch nehmen. Als Psychologin liegt mir ein bio-psycho-soziales Verständnis von Gesundheit und Krankheit bzw. die ganzheitliche Betrachtung einer Person und ihrer Lebenswelt am Herzen.

Diese Aspekte werden mit dem Begriff «personenzentriert» aufgegriffen. Dabei wird nicht die Krankheit in den Vordergrund gestellt, sondern der Mensch und seine gesundheitlichen Belange an sich.

In zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten wurde untersucht, welche Aspekte eine personenzentrierte Behandlung und Betreuung ausmachen. Dazu gehört, Patient:innen als «ganze Personen» wahrzunehmen und eine Behandlung und Betreuung anzubieten, die körperliche, psychologische und soziale Aspekte berücksichtigt. Aber auch die gemeinsame Entscheidungsfindung und eine respektvolle Kommunikation zwischen Patient:innen und Gesundheitsfachpersonen sowie eine gut zugängliche, koordinierte und kontinuierliche Versorgung sind Teil davon. Betrachtet man jedoch, wie man diese Aspekte definiert hatte, so wurden gerade mal in ca. 15% der Studien die Sicht der Patient:innen einbezogen.» (Sturgiss, 2022)

In euren Projekten sollen Fragen zu Versorgungsqualität und zu Patient Involvement und Empowerment untersucht werden. Was versteht ihr genau darunter?

«Um gemeinsam Forschungsprojekte und eine Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen voranzutreiben, sollen Patient:innen und Fachpersonen vermehrt einbezogen (Involvement) und befähigt (Empowerment) werden mitzuarbeiten. Das ist gerade in der Schweiz hoch im Kurs. So hat sich das BAG zum Ziel gesetzt, eine öffentliche Plattform aufzubauen. Diese soll sicherstellen, dass Betroffene, Angehörige und die Bevölkerung sowie Fachpersonen ausgebildet und vernetzt werden. Es gibt viele Varianten, die sich durch einen unterschiedlichen Grad an Beteiligung auszeichnen. Unser Ziel ist, Betroffene so zu involvieren, dass sie jeden Schritt des Forschungsprozesses begleiten und wenn möglich aktiv mitgestalten. Dafür eignen sich sogenannte partizipative Forschungsansätze, bei denen Forscher:innen gemeinsam mit den Beforschten ein Thema wissenschaftlich bearbeiten. Oder die Prioritäten für Forschungsprojekte werden bereits mit Betroffenen gesetzt.»

Welches sind anstehende Projekte? Kannst Du schon was verraten?

«Die Auswirkungen von chronischer Krankheit auf verschiedene Lebensbereiche an der Schnittstelle Gesundheit- und Sozialsystem sowie auf den Lebensalltag werden uns in Zukunft sicher beschäftigen. Aber auch die Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, deren Chancen und Risiken in Bezug auf die Gesundheit und die Navigation im Gesundheitssystem.»

Pflegerin kümmert sich um Patientin

Personenzentrierte Versorgungsansätze sind wichtig. Bild: Depositphotos.

Was hast Du in der Forschung für Visionen? Wo soll es hingehen?  

«Heute reden alle von personenzentrierter Gesundheitsversorgung. Die Realität sieht jedoch anders aus. Unser Gesundheitssystem ist fragmentiert, mit vielen verschiedenen Akteuren und unzureichender Vernetzung unter diesen, insbesondere zwischen Sozial- und Gesundheitssystem. So ist es gerade für Menschen mit chronischen Krankheiten schwierig, sich zurechtzufinden und Angebote zu finden, die über die unmittelbare Behandlung der Krankheit hinausgehen.

Uns ist wichtig, vertieft zu verstehen, wie sich die gesundheitlichen Anliegen im Zeit- und Krankheitsverlauf bzw. über die Lebenspanne verändern. Und wie Betroffene die Versorgung dann erleben. Dieses Wissen soll in die Entwicklung neuer Formen einer personenzentrierten, nachhaltigen und integrierten Versorgung für alle einfliessen. Indem von Krankheit Betroffene und deren Angehörige vermehrt bereits bei der Prioritätensetzung für neue Forschungsprojekte einbezogen werden, kann sichergestellt werden, dass die Erkenntnisse bedürfnisorientiert sind. So ist der Transfer in die Praxis leichter. Dabei interessieren uns auch Menschen, die mit besonderen Herausforderungen (z.B. sprachlicher, physischer oder psychischer Natur) in Bezug auf den Zugang zum Gesundheitssystem konfrontiert sind.»

Diskutieren Sie mit!

  • Wie sehen Sie die personenzentrierte Versorgung?
  • Als Patient:in, als Kund:in: Welche Schritte unternehmen Sie, um Ihren Bedürfnissen entsprechend versorgt zu werden?
  • Denken Sie, die Digitalisierung im Gesundheitswesen, das elektronische Patientendossier, trägt zur Personenzentrierung bei?

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