Personenzentrierte Pflege

Die personenzentrierte Betreuung stellt eine Herausforderung für viele Alters- und Pflegeheime dar. Wo sind die Schwierigkeiten? Welche Rolle spielen dabei die Leitungspersonen der Institution und deren Führungsstil?

Die personenzentrierte Betreuung ist in aller Munde. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für das Wohlbefinden von Menschen, die in einem Pflegeheim leben. Trotzdem scheint es nicht einfach, personenzentrierte Konzepte nachhaltig einzuführen.  

Warum «personenzentriert»?

Durch die gestiegene Lebenserwartung und die vielfältigeren Bedürfnisse in der Bevölkerung haben sich auch das Angebot und die Strukturen in den Alters- und Pflegeheimen über die letzten 60 Jahre stark verändert. Von der Versorgung von armen Menschen, über die Behandlung von gesundheitlichen Beschwerden stehen heute die Lebensqualität, die Wahrung der Individualität, der Autonomie und der Selbstbestimmung im Vordergrund. Somit muss der Fokus in den Heimen weg von der defizitorientierten Pauschalbehandlung hin zu einer individuellen und personenzentrierten Betreuung gesetzt werden.

Wo stehen wir?

Die personenzentrierte Pflege und Betreuung in den Heimen ist kein einfaches Unterfangen. In einer Studie der Berner Fachhochschule aus dem Jahr 2015 (Sommerhalder et al., 2015) wurde die Lebens- und Pflegequalität in Alters- und Pflegeheimen untersucht. Von den sechs untersuchten Dimensionen wurde die Personenzentriertheit am schlechtesten bewertet. Auch in einer Folgestudie hat sich dieser schlechte Wert nur unwesentlich verändert. Es stellt sich die Frage, wo hier Problemfelder liegen und welche Rolle die jeweiligen Führungskräfte des Pflegeheimes spielen?

Kombination von Theorie und Modell als Basis

Um Antworten auf die Frage zu finden, wurden die Theorie der transformationalen Führung aus dem Full Range Leadership Model (Bass & Riggio, 2006) mit dem Person Centred Practice Framework (McCance & McCormack, 2016) verbunden. Es wurde ein Raster mit den vier Kernkomponenten (Vorbildfunktion, inspirierende Motivation, intellektuelle Anregung und individuelle Unterstützung) aus der transformationalen Führungstheorie und den drei äusseren Ebenen des PCPF erstellt.

Was sagen die Studien und Expert:innen?

Aus den Studien und Expertinnengesprächen konnten dem erstellten Raster etliche Führungsmassnahmen zur erfolgreichen Umsetzung von personenzentrierten Konzepten zugeordnet werden. Die Haupterkenntnis der Untersuchung besteht darin, dass die personenzentrierte Betreuung in Pflegeheimen nur dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn Führungskräfte die Kultur auch im Umgang mit den Mitarbeitenden vorleben. Mitarbeitende müssen mit ihren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten wahrgenommen, in den Umsetzungsprozess eingebunden und von Vorgesetzten begleitet und unterstützt werden. Das bedeutet, dass, bevor personenzentrierte Pflegekonzepte eingeführt werden, zuerst geprüft werden muss, ob die entsprechende Kultur im Betrieb gelebt wird. Aber auch, ob Führungspersonen die personenzentrierte Haltung verstehen und unterstützen. Falls diese Kultur nicht vorhanden ist, muss sie zuerst geschaffen werden. Erst dann macht es Sinn, personenzentrierte Konzepte umzusetzen.

Die fünf Schritte zum Erfolg

Die fünf Schritte zum Erfolg, (Quelle: Eigene Darstellung)

Empfehlungen an die Praxis

Die Expert:innen haben in den Interviews erwähnt, dass den Mitarbeitenden die Informationen möglichst einfach vermittelt werden sollen. Deshalb wurde zur Darstellung der Umsetzungsschritte ein einfaches und verständliches Modell für die Praxis erstellt. Dieses Modell beinhaltet die Führungsmassnahmen in komprimierter Form. Es stellt diese in eine zeitliche Abfolge, welche für die erfolgreiche Umsetzung der personenzentrierten Betreuung in der Langzeitpflege ebenfalls relevant ist. Die Erkenntnisse der physischen Umgebung werden als Sockel und Basis des Modells dargestellt.

Dieses Modell soll den Institutionen in der Langzeitpflege als Fahrplan für die erfolgreiche Einführung von personenzentrierten Konzepten dienen. Es soll die Entscheidungsträger dabei unterstützen, einen betriebsspezifischen Umsetzungsplan zu erstellen. Innerhalb der jeweiligen Schritte können die erarbeiteten Führungsmassnahmen angewendet werden.

Trotz den vielen Übereinstimmungen gab es auch Einflussfaktoren, zu denen keine klaren Massnahmen abgeleitet werden konnten. Zur Selbstkenntnis, den beruflichen Kompetenzen (Ausbildungsstand) und den entwickelten, zwischenmenschlichen Fähigkeiten aus dem PCPF konnten keine klaren Synergien zwischen den Studien und den Expertinnengesprächen gefunden werden. Um zu diesen drei Einflusskriterien klare Empfehlungen an die Praxis ableiten zu können, müssten weitere Studien und Expert:innengespräche durchgeführt werden.

Quellen

Bass, B. & Riggio, R. (2006). Transformational Leadership (2. Aufl.). Lawrence Erlbaum Associates, Inc., Abstract.

McCance, T. & McCormack, B. (2016). A considered reflection and representing the Person centred Practice Framework. In: B. McCormack & T. McCance (Hrsg.), Person-Centred Practice in Nursing and Health Care: Theory and Practice (2. Aufl., S. 259-264). John Wiley & Sons. Abstract.

Sommerhalder, K., Gugler, E., Conca, A., Bernet, M., Bernet, N., Serdaly, C. & Hahn, S. (2015). Lebens- und Pflegequalität im Pflegeheim. Berner Fachhochschule.

Diskutieren Sie mit!

  • Welche Erfahrungen haben Sie in der Umsetzung der personenzentrierten Betreuung in Pflegeheimen gemacht?
  • Gibt es weitere Aspekte, die bei der Einführung von Konzepten zur personenzentrierten Betreuung berücksichtigt werden müssen?
  • Welche Rolle spielen die personelle Situation, die Kompetenzen des Personals und der Fachkräftemangel?

Kommentare

  • Silvia Luedi

    04.11.2023

    Als Pflegeexpertin bekam ich den Auftrag, das Bezugspflegekonzept einzuführen. Ich musste den Führungspersonen zuerst erklären, dass dies eine Organisationsform ist und sie sich auf den Begriff der personenzentrierten Pflege konzentrieren sollten. Ich durfte eine Projektgruppe gründen und lud die PDL, die STV PDL auch ein dort mitzumachen. Leider stellte sich während des Projekt heraus, dass sie die Führung in dem Prozess zu wenig vorantrieben und auch nicht verstanden, dass es wirklich auf sie ankommt.
    In einem anderen Heim bin ich wieder mit dieser Aufgabe konfrontiert worden. Ich denke die vielen temporären Mitarbeitenden werden da eine Herausforderung.

    • Raffael Konrad

      11.11.2023

      Vielen Dank für Deinen wertvollen Bericht aus der Praxis, der bestätigt, dass das Verständnis der Führungspersonen und deren aktives Mitwirken essenziell wichtig für eine erfolgreiche Einführung der personenzentrieten Pflege ist.
      Ich kann mir gut vorstellen, dass es in Deinem aktuellen Projekt mit ständig wechselndem Personal sehr schwierig ist, eine personenzentrierte Kultur aufzubauen. Neben der Schulung ist es ja auch wichtig, in den Teams ein gemeinsames Verständnis über die personenzentrierte Betreuung zu entwickeln und zusammen am gleichen Stick zu ziehen. Evtl. ist es dem Betrieb möglich, immer wieder dieselben Temporärmitarbeitenden einsetzen zu können, was der erfolgreichen Umsetzung meines Erachtens helfen würde. Ich wünsche Dir auf jeden Falls alles Gute und gutes Gelingen im heraufordernden Projekt und bin gespannt über die Entwicklung.

  • Christian Conrad

    06.11.2023

    Vielen Dank, Raffael, für diesen innovativen Ansatz, wie man als Führungsperson die personenzentrierte Betreuung initiieren und unterstützen kann. Die Kombination eines Führungsmodell mit dem Rahmenkonzept der personenzentrierten Betreuung ist innovativ und hoffentlich für viele Kolleg:innen inspirierend. Du zeigst in deinem Modell die entscheidenden Schritte für einen erfolgreichen Veränderungsprozess auf und wie wichtig es ist, zuerst die Kultur dafür zu schaffen. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg in der Umsetzung und hoffe auf viele Nachahmer:innen, die sich bei Dir Tipps und Tricks einholen werden.

    • Raffael Konrad

      11.11.2023

      Vielen Dank für Deine Rückmeldung und Wertschätzung meiner Arbeit. Die Gestaltung einer personenzentrierten Betriebskultur zusammen mit dem Leitungsteam ist eine spannende und schöne Aufgabe. Es ist sehr wichtig, dem Prozess genügend Zeit zu geben und neue Mitarbeiter:innen gut abzuholen und zu integrieren. Deshalb ist die Gestaltung und Erhaltung der Betriebskultur ein Prozess, der uns stets begleitet und der auch stets die nötige Achtsamkeit benötigt. Wie bereits erwähnt eine sehr schöne Aufgabe, die auch zu einem positiven Betriebsklima und einer wertschätzenden Zusammenarbeit beiträgt.