Bewegung interprofessionell in Bewegung bringen
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Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler sind eine sinnvolle Ergänzung, wenn es um interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen geht. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, die Bedeutung von Sport und körperlicher Aktivität in Prävention, Rehabilitation und Therapie zu stärken.
Das Feld der körperlichen Aktivität und Bewegung hat mit Blick auf das Gesundheitssystem eine wesentliche Bedeutung. Einerseits ist Bewegungsmangel – mittlerweile als «exercise deficiency syndrom» bezeichnet – neben Rauchen, hohem Blutzucker und Blutdruck einer der bedeutendsten Risikofaktoren für die weltweite Sterblichkeit. Andererseits reduziert körperliche Aktivität als «exercise is medicine» das Risiko des vorzeitigen Todes und die Wahrscheinlichkeit einer Vielzahl von Erkrankungen.
Zudem kann Sport auch gewinnbringend zur Therapie beispielsweise von koronarer Herzkrankheit, Schlaganfall, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Brust- oder Darmkrebs eingesetzt werden.
Sportwissenschaft als Teil des Gesundheitssystems
Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler sind im Gesundheitssystem in der Gesundheitsförderung, der Prävention, der Therapie oder der Rehabilitation tätig. Sie sind daher darauf bedacht, mit anderen Professionen zusammenzuarbeiten.
Trotz der Bedeutung für die Gesundheitsversorgung wird der Bereich der Sportwissenschaft und Sportmedizin als «exercise is medicine» in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur rund um das Thema Interprofessionalität im deutschsprachigen Raum kaum berücksichtigt. Im nordamerikanischen Raum ist die Integration von Interprofessionalität im Bereich der Sportwissenschaft bereits deutlich weiter fortgeschritten.
Daher habe ich zusammen mit Prof. Dr. Anthony Breitbach von der St. Louis Universität (USA), einem der führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet, eine Online-Umfrage zur Interprofessionalität im Bereich Sportwissenschaft/Sportmedizin entwickelt. Insgesamt konnten wir 320 vollständige Datensätze von Teilnehmenden verschiedener Gesundheitsberufe im Feld der Sportwissenschaft und Sportmedizin aus den USA, Kanada sowie aus acht europäischen Ländern – unter anderem auch der Schweiz – erheben.
Internationale Befragung zu Interprofessionalität im Sportbereich
Im Zentrum der Befragung stand die Erfassung interprofessioneller Einstellungen, die mittels der vier Skalen des Fragebogens der University of the West of England abgefragt wurden. Als wichtigstes Ergebnis konnten wir klar positive Einstellungen zu Kommunikation und Teamarbeit, interprofessionellem Lernen und interprofessionellen Beziehungen in den USA, Kanada und Europa dokumentieren.
Lediglich bei der Skala zu interprofessionellen Interaktionen wurden negative Wahrnehmungen gefunden (vgl. Abbildung). Diese können vermutlich auf individuelle schlechte Erfahrungen in der eigenen Arbeitspraxis, das Wahrnehmen von Stereotypen, mangelnden Respekt sowie auf mangelhafte interprofessionelle Kommunikation und Zusammenarbeit zurückgeführt werden.
Neben einigen regionalen Unterschieden bestätigen die Daten ein hohes Mass an Unterstützung für die interprofessionelle Zusammenarbeit und das interprofessionelle Lernen in der Sportwissenschaft respektive der Sportmedizin. Jedoch zeigen individuelle Erfahrungen aus der Praxis ein gegensätzliches Bild.
Impulse zur Förderung der Interprofessionalität
Abgeleitet aus den Ergebnissen der Befragung wird empfohlen, interprofessionelle Aktivitäten sowohl in der Berufspraxis als auch in der Lehre im Bereich Sportwissenschaft/Sportmedizin zu fördern. Um vom Wissen der jeweils anderen Berufsgruppen zu profitieren, sollten darüber hinaus auch lokale interprofessionelle Netzwerke vorangetrieben werden, damit etwa Hausärztinnen und Hausärzte von Bewegungsangeboten zur Prävention, Therapie und Rehabilitation im Umfeld der Patientinnen und Patienten erfahren.
Unsere Studie zur Interprofessionalität im Bereich Sportwissenschaft/Sportmedizin konnte im Fachblatt «Journal of Interprofessional Care» publiziert werden. Das Ziel ist, dass darauf aufbauend weitere wichtige Impulse zur Förderung der Interprofessionalität im Feld «exercise is medicine» in der Schweiz gesetzt werden können.
Careum leistet Pionierarbeit in Sachen Interprofessionalität
Die interprofessionelle Zusammenarbeit der beteiligten Fachpersonen im Gesundheitswesen wird als vielversprechendes Mittel gesehen, um den Herausforderungen des Gesundheitssystems zu begegnen. Die Careum Stiftung setzt sich schon seit mehreren Jahren für interprofessionelle Zusammenarbeit und Ausbildung ein. Beispiele dafür sind die Zürcher interprofessionelle klinische Ausbildungsstation (ZIPAS) oder das Careum Working Paper 9 zur Zukunft der interprofessionellen Ausbildung im Schweizer Gesundheitssystem.
Careum möchte in Zukunft neben den in der Literatur häufig benannten Berufsgruppen – wie zum Beispiel Medizin, Pflege oder Physiotherapie – weitere Beteiligte im Gesundheitssystem an den «interprofessionellen Tisch» holen sowie deren Integration in das soziale Gefüge diskutieren. Dabei sollen unter anderem Angehörige von Patientinnen und Patienten, freiwillig Arbeitende in der Patientenversorgung, aber auch bisher noch wenig berücksichtigte Fachrichtungen wie die Biomedizinische Analytik, soziale Berufe oder die Sportwissenschaft miteinbezogen werden.
Literatur
Ulrich, G., Amstad, H., Glardon, O., & Kaap-Frohlich, S. (2020). Interprofessionelle Ausbildung im Schweizer Gesundheitssystem: Situationsanalyse, Perspektiven und Roadmap. PDF
Ulrich, G., & Breitbach, A. P. (2021). Interprofessional collaboration among sport science and sports medicine professionals: an international cross-sectional survey. J Interprof Care, 1-11. Abstract
Diskutieren Sie mit!
- Welche Erfahrungen haben Sie bisher zu Sport und körperlicher Aktivität im Gesundheitswesen gemacht?
- Wie könnte Ihrer Meinung nach Sport und körperliche Aktivität im Schweizer Gesundheitssystem verstärkt wahrgenommen und vorangetrieben werden?
- Welche sinnvollen Schnittstellen sehen Sie zwischen Expertinnen und Experten im Feld der körperlichen Aktivität und anderen Gesundheitsfachpersonen, um die Patientenversorgung zu optimieren?
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