jüngere Frau mit Seniorin

In allen gesundheitlichen Versorgungsstrukturen wird geriatrisches Fachwissen benötigt. Damit die Situation von alten Menschen möglichst vollständig erfasst wird, helfen die «geriatrischen Is und Ms».

Alte Menschen spielen in unserer Gesellschaft und im Gesundheitswesen eine immer wichtigere Rolle. Längst haben die klinisch relevanten gerontologisch-geriatrischen Fragen das Pflegeheim verlassen. In allen pflegerischen und medizinischen Settings gehören alte Menschen zur Behandlungsgruppe (vgl. Kappenschneider et al., 2022; Shahrokni et al., 2017). Und der Anteil wächst stetig. Um den Bedürfnissen dieser Patient:innen gerecht zu werden und in den oft komplexen Situationen handlungsfähig zu bleiben, müssen Health Professionals immer häufiger auf geriatrisches Fachwissen zurückgreifen und ihre Expertise erweitern.

«Geriatrische Is» – häufigste Probleme rasch erkennen

Viele Fachpersonen, die in der Geriatrie arbeiten, sind mit den «geriatrischen Is» – oder den «geriatrischen Riesen», wie sie auch genannt werden – vertraut. Damit führt man die häufigsten Gesundheitsprobleme alter Menschen auf, die den Anfangsbuchstaben I aufweisen (vgl. Pflege Kolleg, 2022). Zu den geriatrischen Is gehören:

  • Insomnie (Schlafstörungen)
  • Inkontinenz
  • Immobilität
  • Instabilität mit nachfolgend erhöhter Sturzgefahr
  • Veränderungen im Intellekt, also der kognitiven Fähigkeiten
  • Inappetenz (Hagg-Grün et al., 2018; Steudter, 2019)

Die «geriatrischen Is» können eine Orientierung bieten, wenn beispielsweise mit dem Assessment der pflegediagnostische Prozess begonnen wird. Die Patient:innen können gezielt und einfühlsam nach den aufgeführten Beschwerden gefragt werden.

Gibt es Probleme in den erwähnten Bereichen, sollte ein spezifisches Fokusassessment folgen. Die «geriatrischen Is» dürfen jedoch nicht dazu führen, dass alte Menschen darauf reduziert oder stigmatisiert werden. Die Angaben helfen vielmehr Fachpersonen, Situationen im Umgang mit alten Menschen rasch einzuschätzen und Prioritäten zu setzen. Unabhängig ob die Versorgung zu Hause, ambulant in Praxen oder in stationären Einrichtungen stattfindet.

junge frau umarmt alte frau

Alte Menschen ganzheitlich in ihren Bedürfnissen wahrnehmen. Bild: Depositphotos.

«Geriatrische Ms» – der Komplexität gerecht werden

Um die Situation von alten Menschen erweitert zu erfassen, können auch die in Kanada und den USA entwickelten «geriatrischen Ms» hilfreich sein. Hier steht der Anfangsbuchstabe M (der englischen Wörter) für die Begriffe, die die Phänomene alter Menschen aus einem anderen Blickwinkel erfassen und so die Einschätzung von Pflegefachpersonen vervollständigen können. Zu den «geriatrischen Ms» zählen:

  • Geist (Mind: z. B. Demenz, Depression, Delir)
  • Mobilität (z. B. veränderter Gang, Sturzrisiko)
  • Medikation (z. B. Polypharmazie, Nebenwirkungen der Behandlung)
  • Multikomplexität (z. B. Multimorbidität, komplexe bio-psychosoziale Situation)
  • Wichtiges (matters most: individuelle Ziele von alten Menschen und ihre Vorstellungen zu Pflege und Behandlung) (Molnar & Frank, 2019)

Beide Begriffsreihen können dazu beitragen, dass relevante Aspekte in der pflegerischen Arbeit mit alten Menschen nicht unberücksichtigt bleiben. Wie bei allen Tools, die in der Praxis angewendet werden, ist es entscheidend, wie sie angewendet werden. Sie ersetzen weder das pflegerische Gespräch, noch erfassen sie die individuelle Situation vollständig. Sie können jedoch das pflegerische Vorgehen leiten. Auch kann es Fachpersonen helfen, den Blick auf die wichtigen Phänomene zu richten, die richtigen Fragen zu stellen, das interprofessionelle Team zu informieren und bedürfnisgerechte Massnahmen in die Wege zu leiten.

Literatur

Hagg-Grün, U., Nikolaus, T. & Zeyfang, A. (2018). Mobilität, Immobilität, Stürze und Folgen. In A. Zeyfang, M. Denkinger, U. Hagg-Grün (Hrsg.). Basiswissen Medizin des Alterns und des alten Menschen. 3. Aufl., Heidelberg: Springer, 39–53.

Kappenschneider, T. et al. (2022). Special orthopaedic geriatrics (SOG) – a new multiprofessional care model for elderly patients in elective orthopaedic surgery: a study protocol for a prospective randomized controlled trial of a multimodal intervention in frail patients with hip and knee replacement. BMC Musculoskeletal Disorders, 23: 1079.

Molnar, F. & Frank, C.C. (2019). Optimizing geriatric care with the GERIATRIC 5Ms. Canadian Family Physician, 65 (1): 39

Pflege Kolleg 20 (2022). Gut Altern. Heidelberg: Springer.

Shahrokni,A., Jung Kim, S., Bosl, G.J. & Korc-Grodzicki, B. (2017). How we care for an older Patient with Cancer. Journal of Oncology Practice, 13(2): 95–103.

Steudter, E. (2019). Die geriatrischen Riesen. Wie Inkontinenz, Immobilität & Co. das Leben im Alter verändern. pflegen: palliativ, 11 (43): 12–14.


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