überforderte Pflegefachperson

Mental Health - die unsichtbare Last

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Immer für andere da – das ist das Pflegepersonal in einem Akutspital. Tag für Tag sorgen sie für die Patientinnen und Patienten, begleiten sie mit Geduld, Einsatzbereitschaft und nicht selten auch mit einem aufmunternden Lächeln

Das Pflegepersonal versucht täglich, das Beste zu geben. Wer gibt täglich das Beste für sie? Psychische Erschöpfung, emotionale Überforderung und das Gefühl, immerzu funktionieren zu müssen, sind ständige Begleiter. In diesem Blogbeitrag beschäftige ich mich mit einem Berufsstand, der viel gibt, aber oft wenig Gegenleistung bekommt. Ich möchte aufzeigen, warum die psychische Gesundheit in der Pflege mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die unsichtbare Last: Was Pflegepersonen täglich tragen

Wer pflegt, kennt diesen ständigen Druck: den Zeitdruck, die emotionale und manchmal auch die fachliche Überforderung. Dazu Angehörige, die verzweifelt wissen wollen, wie es mit ihren Liebsten weitergeht. Der Alltag in der Pflege ist ein ständiger Balanceakt. Da ist der Patient oder die Patientin in der terminalen Phase, der jede mögliche Zuwendung verdient. Die Station ist überfüllt, die Aufgaben türmen sich. Wie soll man ihm die Aufmerksamkeit schenken, die er braucht, wenn unaufhörlich die Klingeln läuten, die Visite wartet und noch Infusionen angehängt werden müssen? In einem anderen Zimmer liegt eine Frau nach einem schweren Autounfall. Ihr Schmerz ist greifbar, ihre Angst fast spürbar. Woher soll man die Zeit nehmen, um ihr die Fürsorge zu geben, die sie dringend benötigt? Wie soll man dem Einzelnen gerecht werden, wenn alles gleichzeitig verlangt wird?

In Interviews schildern Pflegepersonen immer wieder, dass die eigenen Ansprüche an ihren Beruf und an eine gute Pflege aufgrund der hohen Arbeitsbelastung oft nicht in dem Mass erfüllt werden können, wie sie es sich wünschen. Das führt dazu, dass die Bedürfnisse und die Wünsche der Patient: innen zu kurz kommen und diese auch nicht berücksichtigt werden können (Wehrmann et al., 2020). Etwa 70 % der Pflegepersonen leiden an einer emotionalen Erschöpfung, welche durch den ständigen Kontakt mit Schicksalen verstärkt wird (Kirschner, 2020). Missverständnisse und Konflikte innerhalb des Teams, insbesondere zwischen Pflegepersonen und Ärzt:innen, können zu einer zusätzlichen Belastung werden. Sie können sich erheblich auf die psychische Gesundheit auswirken. 45 % der Pflegepersonen geben an, dass mangelnde Kommunikation und Konflikte im Team ihre Arbeit erschweren (Vallone & Zurlo, 2024). Der Zusammenbruch einer Pflegeperson macht erst deutlich, welche kontinuierliche und verborgene Belastung auf ihr lag.

Fakten: psychische Probleme in der Pflege

Pflegepersonen im Akutspital sind besonders anfällig für psychische Überbelastung. Studien zeigen auf, dass bis zu 30% der Pflegenden unter den Symptomen emotionaler Erschöpfung und Burnout leiden (Kirschner, 2020). Der tägliche Zeitdruck, das Leid und organisatorische Herausforderungen erhöhen das Risiko zusätzlich (Bär & Starystach, 2018). Fast ein Drittel der Pflegepersonen gibt an, sich regelmässig ausgelaugt zu fühlen. Besonders die Schichtarbeit und die hohe Arbeitsintensität tragen dazu bei, dass die psychische Belastung zunimmt (Kirschner, 2020). Stressniveaus hängen zudem stark von Arbeitszeitmodellen und organisatorischen Faktoren ab (Bär & Starystach, 2018). Die genannten Zahlen machen deutlich, dass es sich bei psychischen Problemen in der Pflege nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein weit verbreitetes Phänomen.


Warum wird nicht darüber gesprochen?

Das Pflegepersonal ist enorm belastet. Das wird oft übersehen. Die Arbeit erfordert nicht nur körperliche, sondern vor allem emotionale Stärke. Pflegende begleiten Patient:innen oft bis zum Tod. Sie erleben Leid, Aggressionen und den körperlichen Verfall hautnah. Der enge Kontakt zu Angehörigen führt zusätzlich zu Konflikten und Druck. Zeitmangel und Personalknappheit verhindern, dass Patient:innen die Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigen. Die daraus resultierenden Belastungen führen zu Burnout, psychosomatischen Beschwerden und einem steigenden Berufsausstieg. Dennoch werden diese Probleme systematisch ignoriert, weil Interaktionsarbeit nicht als «echte» Belastung gilt und Pflegepersonen als «helfende Seelen» betrachtet werden, die sich nicht beschweren sollten.

Mental Health

Wie verbreitet sind psychische Probleme in der Pflege? Bild:Depositphotos.

Wege zur Entlastung

Die Pflege ist am Limit. Um die Belastung zu senken, braucht es vor allem mehr Personal – verbindliche Vorgaben können hier wirksam sein. Ergänzend stärken Gesundheitsförderung, Stressbewältigung und Teamentwicklung die psychische Widerstandskraft. Gute Führung bedeutet, Anerkennung zu geben und zu entlasten, statt Probleme zu ignorieren. Ebenso wichtig sind Mitsprache und klare Strukturen, die den Alltag planbarer machen. Internationale Beispiele zeigen: Attraktive Arbeitsbedingungen schützen die Gesundheit und sorgen dafür, dass Pflegekräfte im Beruf bleiben (Wesselborg & Bauknecht, 2023).


Fazit: Applaus genügt nicht; es braucht Veränderung

Psychische Belastungen in der Pflege sind keine Einzelfälle. Tag für Tag leistet Pflegepersonal Enormes, doch ihre eigene Gesundheit bleibt oft auf der Strecke. Emotionale Erschöpfung, Burnout und die steigende Zahl der Berufsausstiege weisen auf ein System hin, das die Belastung seiner Beschäftigten nicht ausreichend abfedert. Es reicht nicht, die Pflege als «Berufung» zu romantisieren. Was es braucht, sind konkrete Massnahmen: bessere Arbeitsbedingungen, verbindliche Personalvorgaben, psychologische Unterstützung und eine Kultur der Wertschätzung. Pflegepersonen sind das Rückgrat unseres Gesundheitswesens. Wenn wir nicht endlich handeln, riskieren wir, dieses Rückgrat zu brechen. Jetzt ist Zeit für Veränderung. Denn gesunde Pflegepersonen bedeuten eine bessere Versorgung für uns alle.

*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.

Quellen

Bär, S., & Starystach, S. (2018). Psychische Belastungen des Pflegepersonals im Krankenhaus: Effekte von Status und Organisationsstrukturen. Das Gesundheitswesen, 80(08/09), 693–699.

Kirschner, M. (2020). Wie fatal sind die Folgen von Stress in den Pflegeberufen? Curaviva.

Vallone, F., & Zurlo, M. C. (2024). Stress, interpersonal and inter-role conflicts, and psychological health conditions among nurses: Vicious and virtuous circles within and beyond the wards. BMC Psychology, 12(1), 197.

Wehrmann, J., Englisch, F., & Sträter, O. (2020). Psychische Belastung in der Pflege – Arbeit an und mit Menschen. GfA Frühjahrskongress.

Wesselborg, B., & Bauknecht, J. (2023). Psychische Erschöpfung in den Pflegeberufen: Eine quantitative Querschnittstudie zu Belastungs- und Resilienzfaktoren. Prävention und Gesundheitsförderung.

Diskutieren Sie mit

• Welche Massnahmen halten Sie für am effektivsten, um die psychische Gesundheit von Pflegepersonen zu stärken?
• Haben Sie selbst schon einmal Erfahrungen mit psychischen Belastungen im Pflegeberuf gemacht? Oder haben Sie solche Belastungen bei Kolleg:innen beobachtet?
• Welche Massnahmen wünschen Sie sich von Politik und Gesellschaft, um Pflegepersonen besser zu unterstützen?

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