Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Spital

Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im Spital

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Müssen Menschen mit körperlichen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen in ein Spital, benötigen sie oft neben der akutmedizinischen Betreuung auch eine intensive Begleitung. Welche Aspekte gilt es dabei zu beachten?

Ein fiktives Szenario: Sie müssen notfallmässig wegen einer schlecht heilenden Unterschenkelwunde ins Spital. Seit einem Unfall vor zehn Jahren sind Sie kognitiv und körperlich eingeschränkt und an einen Rollstuhl gebunden.

Eine Betreuungsperson begleitet Sie von Ihrer Wohneinrichtung ins Spital. Nun sitzen Sie in der Behandlungskoje und warten auf eine Ärztin oder einen Arzt. Nach kurzer Zeit betritt eine Person mit weissem Kittel den Raum und steuert direkt auf Ihre Begleitung zu, um sie zu begrüssen. Sie stellt sich auch Ihnen ganz kurz vor, bevor sie das Gespräch mit Ihrer Betreuungsperson fortsetzt. Die medizinische Fachperson fragt Ihre Begleitung, ob sie erklären könne, wie das genau passiert ist und wie die Wunde bis anhin behandelt wurde.

Ihre Gedanken: Wieso bespricht sich die Ärztin oder der Arzt mit meiner Betreuungsperson, obwohl ich auch erklären kann, was passiert ist? Sie versuchen, sich ins Gespräch einzubringen. Doch Sie können mit dem schnellen Gesprächstempo nicht mithalten. Ihnen wird keine Zeit gelassen, sich auszusprechen. Die Betreuungsperson erklärt den Pflegefachpersonen, wie man Sie vom Rollstuhl in und aus dem Bett mobilisieren kann und auf was zu achten ist.

Sie bleiben für die nächsten Tage stationär im Spital. Auf der Abteilung hören Sie, wie sich ein paar Pflegefachpersonen miteinander unterhalten. Diese besprechen sich, wie man Sie am besten vom Rollstuhl ins Bett legt. Die Pflegefachpersonen haben die Informationen vom Pflegepersonal der Notaufnahme nicht erhalten. Sie versuchen es zu erklären, merken aber, dass das Personal gestresst ist und Sie nicht gut versteht. Später kommt ein Assistenzarzt vorbei und erklärt Ihnen, dass Ihre Wunde am Bein debridiert werden müsse. Er bespreche sich jedoch zuerst mit Ihrem Beistand und erkläre Ihnen später, was gemacht wird.

Im Spital

Menschen mit körperlichen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen benötigen oft neben einer akutmedizinischen Betreuung auch eine intensive Begleitung. Oft sind Menschen mit einer Beeinträchtigung von Personen umgeben, die sie gut kennen. Diese kennen ihre Vorlieben und Abneigungen, ihre Art zu kommunizieren, ihren Humor und ihre Sicht auf das Leben.

Wie sieht es jedoch aus, wenn Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung ins Spital müssen und in einer fremden Umgebung sind? Hat das medizinische Personal genügend Zeit, ihnen zuzuhören? Werden sie in Entscheidungen miteinbezogen? Nutzt das medizinische Personal Ressourcen, sodass Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung den Alltag im Spital möglichst selbstständig bewältigen können?

Analog der immer älter werdenden Gesellschaft werden auch Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung immer älter (Patja, 2000). Somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass immer mehr Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen auch im Alter eine stationäre Betreuung und eine akutmedizinische Versorgung brauchen. Das Spitalpersonal scheint oft nur begrenzt in der Lage zu sein, die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen adäquat einschätzen zu können. In verschiedenen Situationen sind sie auf Übersetzungs- und Betreuungsleistungen der Angehörigen und Bezugspersonen angewiesen.

Je nach Schweregrad der Beeinträchtigung braucht es eine genaue Befragung der zuständigen Person oder der Familienangehörigen. Es kommt aber auch vor, dass man es mit einer Person mit Beeinträchtigung zu tun hat, die selbst viel über ihre Beeinträchtigung, Mobilität und ihre Copingstrategien weiss und dies auch selbst kommunizieren kann.

Inklusion statt Exklusion

Wir als medizinisches Personal verfügen oft über eine andere Sicht der Salutogenese und Pathogenese als Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Viele Menschen mit einer körperlichen und kognitiven Beeinträchtigung sehen diese selbst nicht als Krankheit. Sie können ausdrücken, was ihnen Lebensqualität bedeutet und was sie sich für ihr Leben wünschen. Wichtig ist, dass wir sie, wenn immer möglich, in den Entscheidungs- und Behandlungsplan miteinbeziehen und sie darüber in leicht verständlicher Sprache informieren. 

Auch wenn Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen über einen Vormund oder Beistand verfügen, haben sie oft eine eigene Meinung. Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung werden oft von nahen Bezugspersonen wie Angehörigen oder Betreuenden von einer betreffenden Organisation begleitet. Diese können dem medizinischen Personal Informationen über die Betreuung der Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung weitergeben. Dabei ist es eine Gratwanderung, den Bedürfnissen und Kommunikationsformen der Patientin oder des Patienten gerecht zu werden. Es gilt, mit ihnen zu sprechen, statt über sie.

Beeinträchtigt durch die Gesellschaft

Wenn ich an das Wort «Beeinträchtigung» denke, frage ich mich, ob Menschen mit einer körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigung tatsächlich stark eingeschränkt sind. Und ob ihr Leben zusätzlich durch unsere Gesellschaft erschwert wird, im Sinne von gesellschaftlichen Barrieren und aktiver Ausgrenzung.

Sicherlich kann man dies nicht verallgemeinern. Die Konvention der UNO über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigung vom 13. Dezember 2006 formuliert klare Umsetzungen zugunsten der Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Mit der Unterzeichnung verpflichtet sich auch die Schweiz, die in der Konvention enthaltenen Menschenrechte umzusetzen (EDI, 2014).

kanalisierte info

Die Informationen müssen kanalisiert werden. Bild: pexels.com

Informationsfluss beim Eintritt

Menschen mit einer kognitiven und teilweise auch körperlichen Beeinträchtigung brauchen Verständnis, Zeit und Geduld. Dies fordert ein Gesundheitssystem heraus, das sich prinzipiell nach Effizienz und Wirtschaftlichkeit ausrichtet.

Der Austausch zwischen den Familien und den Betreuungspersonen der Wohneinrichtung ist von grosser Bedeutung. Für das Gesundheitspersonal im Spital ist eine informative, möglichst kurze Dokumentation über die eintretende Person mit einer kognitiven und teilweise auch körperlichen Beeinträchtigung für die Behandlung und Pflege von zentraler Bedeutung. Wichtig sind aktuelle Informationen wie Personalien, Krankheitsgeschichte, Auflistung der Ansprechpersonen, Aspekte der Kommunikation, Austrittsplanung und Beschreibung der ATLs (Aktivitäten des täglichen Lebens). Zu beachten ist die genaue Beschreibung der Mobilität, Nahrungsaufnahme, Wahrnehmung, Gewohnheiten oder Abneigungen.

Vielleicht liegt sogar eine Patientenverfügung vor, die beigelegt werden kann. Eine aktuelle schriftliche Dokumentation und ein mündlicher Rapport zwischen Angehörigen oder Betreuungspersonen und Spitalpersonal ist vor allem sehr wichtig für Menschen mit Kommunikationsstörungen und geistiger Beeinträchtigung (Weber, 2016), (Stiftung Arkadis, 2016)

Wichtig ist auch, dass die Informationen einheitlich, elektronisch oder schriftlich abgelegt werden, damit sie für das ganze Behandlungsteam zugänglich sind. Von Vorteil ist auch eine kontinuierliche Betreuung mit Bezugspflege zur Vermeidung eines eingeschränkten Informationsflusses. Viele Informationen sind für die Behandlung sehr relevant, da psychische, soziale und medizinische Probleme sich gegenseitig beeinflussen und Merkmale eines Krankheitsgeschehens verdecken (Stockmann, 2010).

Verschiedene Verhaltensweisen können zur Eigenheit der Patientin oder des Patienten gehören. Sie können aber auch Ausdruck einer relevanten somatischen oder psychiatrischen Störung sein. Dies kann nur dann genauer evaluiert werden, wenn eine genaue Dokumentation vorliegt oder ein guter Austausch zwischen dem Behandlungsteam und Bezugspersonen stattfindet. Vor allem sollte den Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung die Partizipation an Gesprächen in leichter Sprache ermöglicht werden.

Quintessenz

Die Betreuung und Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Beeinträchtigungen, insbesondere mit kognitiver und mehrfacher Beeinträchtigung erfordert spezielle Kenntnisse und Umgangsformen. Es ist wünschenswert, dass das Spitalpersonal im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen sensibilisiert und weitergebildet wird. Wichtig ist der interdisziplinäre Austausch und die verständliche Kommunikation mit den betreuenden Personen und vor allem MIT den Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung.

*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.

Literatur

EDI (2014). Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Abgerufen 24. Mai 2020. Hier verfügbar

Patja, K., Mölsä, P., & Iivanainen, M. (2001). Cause‐specific mortality of people with intellectual disability in a population‐based, 35‐year follow‐up study. Journal of Intellectual Disability Research45(1), 30–40. Abstract

Stockmann, J. (2010). Erfahrungen eines spezialisierten somatischen Krankenhauses. In Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V. (Hrsg.), Patientinnen und Patienten mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Krankenhaus. Problemlagen und Lösungsperspektiven. Dokumentation des Symposiums am 4. Februar 2010 (S. 65-71). PDF

Stiftung Arkadis (Hrgs) (2016). Ich bin anders und doch gleich! Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im Spital. Reihe Praxis. Olten: Stiftung Arkadis, No 1/2016. PDF

Weber, Anna Maria (2016). Begleitung von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im Spital. Ambivalenzen und Pragmatismus von Schnittstellen. Genève: Université de Genève (Sociograph – Sociological Research Studies, 27), S. 32-36. Abstract

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  • Welche Erfahrungen haben Sie bei der Betreuung von Menschen mit körperlichen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen im Spital gemacht?
  • Wie gestaltete sich der Austausch zwischen den Familien, Betreuungspersonen oder den Wohneinrichtungen?
  • Wie verlief die Kommunikation zwischen medizinischem Personal und den Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung?

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