Charitini Karadamou, Projektleiterin des KI-Lernchoachs, im Interview.

Interview mit der Projektleiterin des KI-Lerncoachs

Blog

Der Careum Verlag entwickelt seit letztem Jahr einen KI-Lerncoach. Es handelt sich dabei um einen Avatar, mit dem Lernende sprechen können und der sie beim Lernen unterstützt. Derzeit ist er noch nicht öffentlich zugänglich, eine Demonstration ist auf Anfrage jedoch möglich. Im Gespräch erzählt die Projektleiterin Charitini Karadamou, wie man ein solches Mammutprojekt umsetzt. 

Charitini, wie unterstützt unser KI-Lerncoach die Lernenden?

Charitini Karadamou: «Sie können ihm beispielsweise fachliche Fragen stellen, die er ihnen beantwortet, oder sie können ihn um eine Zusammenfassung, eine Übersetzung oder eine Mindmap zu einem bestimmten Thema bitten. Der Lerncoach geht dabei individuell auf jeden Einzelnen ein, also beispielsweise auf dessen Bedürfnisse und Lerntypen.»

Kannst du mir erzählen, wie du zur Projektleiterin unseres KI-Lerncoaches geworden bist?

«Das war ein purer Zufall, um ehrlich zu sein. Es gab im Careum Verlag im Frühjahr 2023 eine Stellenausschreibung für die Projektleitung eines Lehrmittels. Und dafür habe ich mich beworben. Im Rahmen des Bewerbungsprozesses bekam ich die Aufgabe, die Erstellung eines Buches aufzuzeichnen. Aufgrund meines pädagogischen Hintergrunds habe ich dabei an Clippy gedacht.»

Clippy? Ah, du meinst diese Büroklammer von Microsoft?

«Genau. Clippy war eine Art Hilfe für User. So habe ich ihn in meine Antwort an Marion Leu, der Leiterin des Careum Verlags, integriert, mit dem Hinweis, dass eine Kreatur wie Clippy vielleicht die Lehrmittel des Verlags bereichern könnte.»

Wie hat Marion reagiert?

«Oh, ich erinnere mich noch immer an diesen Moment (lacht). Sie war überrascht und meinte, dass sie, wie ich, eine Vision für einen KI-Lerncoach im Kopf habe.»

Und dann?

«Marion fragte mich dann, ob ich auch an einer anderen Stelle interessiert wäre, auch als Projektleitung, aber nicht für ein Lehrmittel, sondern für einen KI-Lerncoach. Und so hat es angefangen.»

Wusstest du, wie du vorgehen willst? Ich stelle mir das schwierig vor, einfach so einen KI-Lerncoach aus dem Nichts zu entwickeln.

«Von der pädagogischen Seite her wusste ich, was zu tun ist, weil ich selbst Lehrerin bin. Aber bezüglich Avatare und KI hatte ich noch nicht viel Erfahrung. Zuerst habe ich daher ein pädagogisches Konzept erarbeitet. Parallel dazu habe ich mit Recherchen angefangen. Zum Beispiel, welche KI-Lerncoaches es bereits auf dem Markt gibt oder was in der Entwicklung passiert. Zudem habe ich mich selbst in KI-Themen geschult, habe viel gelesen, viel gehört, unter anderem Podcasts, war an Tagungen, Workshops und so weiter.»

Charitini Karadamou, Projektleiterin des KI-Lernchoachs, im Gespräch mit Janine Aegerter vom Careum Verlag.

Projektleiterin Charitini Karadamou (r.) im Gespräch mit Janine Aegerter, Leiterin Digitale Medien beim Careum Verlag. Bild: Björn Schlegel/Careum

Welche weiteren Schritte hast du unternommen, um dich auf das Projekt vorzubereiten?

«Ich suchte nach Technologiepartnern und Avatar-Plattformen. Zudem machte ich Hospitationen im FaGe-Unterricht und führte Interviews mit Lernenden durch. So bekam ich ein Gefühl dafür, wie sie sich einen Avatar vorstellen und welche Bedürfnisse sie diesbezüglich haben.»

Wie verlief die Suche nach dem Technologiepartner?

«Das war sehr schwierig. Ich habe sehr lange gesucht. Und weil es im Sommer 2023 einen grossen Hype um KI-Entwicklungen gab, standen wir immer auf irgendwelchen Wartelisten bei verschiedenen Technologiepartnern. Es war wie ein ‹gordian knot›!»

Und dann?

«Da wir aus verschiedenen Gründen mit Microsoft-Technologien arbeiten wollten, habe ich mich entschieden, mich direkt an das Microsoft Headquarter in Redmond zu wenden.»

Wie bist du an deren Kontaktadresse gekommen?

«Erst habe ich mit einem Chatbot gesprochen (lacht). Dann übernahm eine sehr nette Dame und diese hat mich an eine andere Dame namens Marlen weitergeleitet. Marlen war fantastisch. Sie hat mir einige sehr gute Namen in der Schweiz gegeben und darunter war auch derjenige unseres jetzigen Technologiepartners isolutions

Was war ausschlaggebend für die Wahl dieses Technologiepartners?

«Ich habe die Firmen durchgecheckt, die mir Marlen empfohlen hat, und habe geprüft, welche Projekte sie durchgeführt haben, wie sie auf dem Markt stehen, ob sie Erfahrung mit KI-Entwicklung mitbringen und so weiter. Und das Team von isolutions hat nach dem ersten Gespräch gesagt: ‹Wow, we are on fire!› Sie haben in unserer Vision ein sehr innovatives Projekt gesehen.»

Ist dies auch das, was dich antreibt?

«Mein Ziel war immer, herauszufinden, wie ich eine KI humanisiere. Und das ist vielleicht auch die grösste Herausforderung in diesem Projekt – in einer sehr positiven Art und Weise. Es ist nicht einfach, eine Maschine zu vermenschlichen.»

Wir stellen in unserem Entwicklungsprozess den Menschen, also die Lernenden, ins Zentrum und bauen alles andere darum herum.

Portrait von Charitini Kardamaou

Charitini Karadamou, Projektleiterin KI-Lernchoach

Wie seid ihr vorgegangen, um dieses Ziel zu erreichen?

«Wir stellen in unserem Entwicklungsprozess den Menschen, also die Lernenden, ins Zentrum und bauen alles andere darum herum. Unser Projektteam ist entsprechend aufgebaut: Ein Teil des Teams ist sehr technisch orientiert. Er besteht aus Entwicklern, die für das Backend, das Frontend und die User-Experience der KI-Lerncoach-Plattform zuständig sind. Der andere Teil des Teams, der aus mir und Martin, unserem Software-Architekten besteht, arbeitet sehr kreativ, also mit Sketchnotes, Mindmaps und so weiter, um neue Features und User Stories zu entwickeln. Die beiden Teamgruppen repräsentieren zwei unterschiedliche Welten. Und wir überbrücken in unserer Zusammenarbeit diese zwei grossen Universen.»

Was kannst du zum Thema Datenschutz sagen?

«Der Datenschutz war einer der Gründe, warum wir mit Microsoft-Technologien arbeiten wollten. Microsoft hat sehr hohe Datenschutzstandards, sie sind extrem streng.»

Wo stehen die Server von Microsoft in unserem Fall? 

«Sie stehen in Zürich.»

Und wie geht der KI-Lerncoach mit dem Datenschutz um?

«Ich wollte sicherstellen, dass unser KI-Lerncoach als sicher empfunden wird und auch sicher bleibt. Deswegen haben wir von Anfang an eine Gruppe von KI-spezialisierten Anwälten rekrutiert. Sie haben mit uns zusammen alle nötigen Dokumente erarbeitet. In diesen Dokumenten steht, wie die Daten genutzt werden, wie sie gespeichert werden, wer das System betreibt. So werden verschiedene Aspekte der rechtlichen Seite abgedeckt.»

Janine Aegerter interviewt KI-Lerncoach-Projektleiterin Charitini Karadamou.

Janine Aegerter (l.) im Interview mit Charitini Karadamou, Projektleiterin des KI-Lerncoachs. Bild: Björn Schlegel/Careum

Wie geht es nun weiter?

«Wir sind momentan in der MVP-Phase, also in der Phase des Minimum Viable Product. Und wir hoffen, in die MMP-Phase zu kommen, also in die Phase des Minimum Marketable Product. Und dann hoffen wir, dass der KI-Lerncoach ab 2026 und 2027 im neuen FaGe-Lehrmittel erscheinen wird.»

«Nur» im FaGe-Lehrmittel?

«Wir können in Zukunft verschiedene KI-Lerncoaches für verschiedene Lernmittelreihen entwickeln, in verschiedenen Sprachen. Und wer weiss, vielleicht könnte ein KI-Lerncoach irgendwann auch für andere Verlage oder Bildungsinstitutionen oder andere Organisationen attraktiv sein. Deswegen haben wir eine Marke ins Leben gerufen. Diese heisst ‹Sphere› und ist der Überbegriff für unsere KI-Lerncoaches.»

Wie sieht denn das dazugehörige Geschäftsmodell aus?

«Diesen September werden wir bei uns einen grossen Workshop durchführen und verschiedene Geschäftsmodelle vorstellen und miteinander diskutieren. Momentan erstellen wir entsprechende Entwürfe, um zu sehen, in welche Richtung es gehen könnte.»

Was mache ich, wenn ich den KI-Lerncoach sehen möchte?

«Du kannst eine Demo bei uns buchen, in der wir dir den KI-Lerncoach präsentieren und dir eine kurze Einführung geben.»

Wie reagieren denn die Menschen auf den KI-Lerncoach?

«Es gibt mehrere Sichtweisen. Viele Reaktionen waren positiv oder enthusiastisch. Und es gab andere, eher skeptische oder negative Stimmen.»

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

«Einige kommentierten, dass der KI-Lerncoach noch lange Zeit braucht, bis er Antworten gibt. Ein Grund dafür ist, ‹by the way›, die Verarbeitung der Daten im Zusammenhang mit dem Datenschutz. Ein weiterer Grund ist die Prozesszeit der sogenannten Large Multimodal Models, die miteinander kommunizieren. Das alles verspätet den Output um einige Sekunden. Und die Nutzer von heute erwarten eine Antwort nach wenigen Millisekunden. Dort sind wir noch nicht. Wir arbeiten daran, aber wir können nicht alle Faktoren beeinflussen.»

Was ist aus deiner Sicht herausfordernd in diesem Projekt?

«Weil wir uns in einem innovativen Umfeld bewegen, kommen ständig neue Modelle und neue Möglichkeiten hinzu. Wir müssen daher sehr dynamisch sein und gleichzeitig oft abwarten oder nach alternativen Wegen für eine Lösung suchen.»

Was sind deine Gedanken, wenn du zurückschaust?

«Wir sind voller Stolz auf das, was wir bisher erreicht haben. Unser KI-Lerncoach ist ein bisschen wie das Lernen der Zukunft. Ich hoffe, dass das Publikum bereit ist, so etwas begeistert anzunehmen und sich einen solchen KI-Lerncoach zu eigen zu machen.»

Diskutieren Sie mit!

  • Haben Sie selbst schon einmal mit einem Avatar gesprochen?
  • Setzen Sie selbst KI (Künstliche Intelligenz) für Ihren Unterricht oder für Ihren Lernprozess ein?
  • Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Kommentare

  • Meggy Bieri

    05.09.2024

    Wow, ich bin begeistert und fast ein wenig wehmütig, weil ich diese tolle Entwicklung bei euch im Verlag nicht mehr miterleben konnte.

    Herzliche Gratulation schon jetzt und weiter so!

    • Janine Aegerter

      05.09.2024

      Hoi Meggy!

      Schön, von dir zu hören! Und herzlichen Dank für deine Glückwünsche!

      Wir freuen uns ebenfalls sehr über diese Entwicklung. Schauen wir, wohin uns dieser Weg führen wird - wir sind gespannt.

      Liebe Grüsse
      Janine

  • Barbara Messerli

    07.09.2024

    Ich durfte den Avatar für das FaGe Lehrmittel kennen lernen und war und bin begeistert. Herzlichen Glückwunsch zur Nomierung. Ich drücke Euch die Daumen.

    • Janine Aegerter

      10.09.2024

      Guten Tag Frau Messerli

      Es freut mich sehr, dass Sie von unserem Lernavatar begeistert waren.

      Und vielen Dank für die Glückwünsche!

      Freundliche Grüsse
      Janine Aegerter