Wichtig für die Patientensicherheit: Kommunizieren und zusammenarbeiten.

«Patientensicherheit bedeutet konstante Maintenance»

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Patientensicherheit und eine gelebte Sicherheitskultur tragen dazu bei, dass es während einer Behandlung zu keinen unerwünschten Ereignissen kommt. Im Gespräch: Prof. Dr. René Schwendimann, ein renommierter Experte auf diesem Gebiet.

Im Laufe unseres Lebens werden wir alle irgendwann einmal zu Patient:innen. Ob es sich um geplante medizinische Eingriffe oder um unerwartete, lebensbedrohliche Gesundheitsprobleme handelt, wir alle vertrauen darauf, dass die uns betreuenden Ärzt:innen, Pflege- und weitere Fachpersonen unsere Sicherheit und unser Wohlbefinden an erste Stelle setzen.

Dies ist angesichts der zunehmenden Überlastung des Gesundheitswesens, des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung keine einfache Aufgabe und erfordert eine gelebte Sicherheitskultur in den Betrieben des Gesundheitswesens. Patientensicherheit ist deshalb ein wichtiges Thema, das auch in den verschiedenen Aus- und Weiterbildungsangeboten von Careum berücksichtigt wird.

Anlässlich des Welttags der Patientensicherheit am 17. September hatte ich die Gelegenheit, mit Prof. Dr. René Schwendimann, einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Patientensicherheit mit langjähriger Berufs- und Lehrerfahrung, über die Thematik zu sprechen.

So ganz spontan: Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn zum Thema Patientensicherheit?

René Schwendimann: «Mir fällt dazu in Anlehnung an gängige Definitionen ein: Alles, was im Gesundheitsbereich und in den verschiedenen Versorgungseinrichten unternommen wird, um Patient:innen so zu betreuen, damit sie durch unser Handeln und unsere Massnahmen nicht zu Schaden kommen.

Diesen Anspruch kennen wir schon aus der Antike. Damals sollte der Arzt nach hippokratischer Tradition dafür sorgen, dass die von ihm behandelten Menschen durch sein Handeln keinen Schaden nehmen. Dieser Grundsatz gilt auch heute noch in der medizinischen Gesundheitsversorgung, die sich inzwischen zu einer ‹Industrie› entwickelt hat, in der viele Akteure zusammenarbeiten. An der Nahtstelle zu den Patient:innen ist es entscheidend, dass richtig und koordiniert gehandelt wird.»

Prof. Dr. René Schwendimann

Prof. Dr. René Schwendimann

«In der Summe überwiegt das Gute, das heisst, sichere Behandlungsprozesse, auch wenn der Blick oft auf die Abweichungen und Fehler gerichtet ist.»

Welches sind die wichtigsten Massnahmen in der täglichen Arbeit, um die Sicherheit der Patient:innen zu gewährleisten?

«Etwas vereinfacht gesagt, gilt grundsätzlich, dass die Fachleute in der Behandlung der Patient:innen das Richtige richtig machen. Das klingt selbstverständlich und ist Ausdruck von Professionalität. Sobald aber mehrere Personen in die Betreuung von Patient:innen involviert sind, wird es rasch sehr anspruchsvoll. Denn einzelne Fachpersonen kümmern sich ja nicht die ganze Zeit persönlich um nur einen Menschen, sondern sie arbeiten immer auch mit anderen Fachleuten und mit Angehörigen zusammen.

Mit anderen Worten: ‹Das Richtige richtig machen› geschieht in einem multiprofessionellen Kontext und erfordert Absprachen, Koordination und gegenseitige Unterstützung. Hier spielen sowohl die fachliche Ausbildung als auch die Teamarbeit eine wichtige Rolle, denn das Fachpersonal muss darüber informiert sein, was nötig ist, um Patient:innen zu untersuchen, zu behandeln und zu betreuen.

Sobald mehrere Fachleute innerhalb und zwischen den Abteilungen zusammenarbeiten, muss dies betrieblich so organisiert und koordiniert werden, dass es fachgerecht gemacht werden kann. Wir wissen, dass dies im Arbeitsalltag unter Stress belastend ist, insbesondere, wenn mehrere Patient:innen ‹gleichzeitig› in kurzer Zeit sicher versorgt werden müssen. Der organisatorische Aufwand ist beachtlich. Wenn wir dies auf einen ganzen Spitalbetrieb hochrechnen, sind je nach Betriebsart und -grösse Dutzende, Hunderte oder gar Tausende Personen beteiligt. Entscheidend für die Gewährleistung der Patientensicherheit sind hier neben der fachlichen Zusammensetzung von Behandlungsteams und Leadership auch Einsatzkoordination, Kooperation und Kommunikation zwischen den Fachpersonen sowie mit den Patient:innen.»

Welche Herausforderungen sehen Sie häufig in Bezug auf Patientensicherheit und wie gehen Organisationen idealerweise damit um?

«Die involvierten Fachpersonen bringen ein unterschiedliches Mass an Know-how und Erfahrung mit: Das Feld reicht von jungen Kolleg:innen am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn bis hin zu den erfahrenen und reflektierten Profis. Daraus ergibt sich eine komplexe ‹Gemengelage› in der Zusammenarbeit. Für alle gilt: Über die Behandlungsziele und Massnahmen Bescheid zu wissen, um optimal agieren zu können. Und hier greifen denn auch die betrieblichen Sicherheitssysteme, in denen die Behandlungsschritte überprüft und angepasst werden.

Im oft hektischen Arbeitsalltag hilft es, ab und zu innerlich einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: ‹Worum geht es bei diesem Patienten, was beschäftigt ihn? Worauf muss ich achten und was muss ich tun?› Für die meisten Krankheits- und Behandlungssituation gibt es Guidelines, Standards und Checklisten, um die Fachleute in ihrer klinischen Arbeit zu unterstützen.»

Wie kann eine Kultur der Patientensicherheit in einer Gesundheitsorganisation gefördert und aufrechterhalten werden?

«Die Sicherheitskultur ist ein Teilaspekt der Organisationskultur eines Betriebs. Sie bezieht sich auf die Einstellungen, Werte und Praktiken der Mitarbeitenden im Hinblick auf die Gewährleistung der Patientensicherheit. In einem Spitalbetrieb mit vielen Organisationseinheiten sprechen wir dann vom lokalen Sicherheitsklima, in dem die Einstellungen und Praktiken der Behandlungsteams variieren können. Die Musik spielt auf der Abteilungsebene, in den umschriebenen Organisationseinheiten also, wo ein Behandlungs- resp. Pflegeteam eine Gruppe von Patient:innen versorgt und betreut. Wenn Spitäler und andere Betriebe des Gesundheitswesens den Anspruch haben, eine qualitativ hochstehende medizinische, pflegerische und therapeutische Versorgung anzubieten, ist diese nur so gut, wie die Sicherheit gewährleistet ist. Ohne Sicherheit keine Qualität.

Sicherheitskultur ist also alles, was eine Organisation, ein Betrieb oder eine Abteilung hinsichtlich der verschiedenen Sicherheitsaspekte unternimmt, zum Beispiel wie man Patient:innen am besten behandeln soll, wie man damit umgeht, wenn es nicht gut läuft und Fehler passieren. Wichtig ist, dass problematische Abweichungen, Fehler und unerwünschte Ereignisse besprochen werden können sowie Lösungen gesucht und initiiert werden. Solche behandlungsbezogenen Besprechungen sollten – wie dies auch geschieht – regelmässig im Rahmen von Rapporten, Fallbesprechungen, Briefings und Debriefings stattfinden.

Sicherheitskultur bedeutet Zusammenarbeit und Kommunikation

Wichtig für die Patientensicherheit: Kommunizieren und zusammenarbeiten. Bild: Depositphotos

Hier kommt das Kulturelement ins Spiel, weil es hier um Werte in Bezug auf Behandlung und Sicherheit geht, über die man im Team nicht jeden Tag explizit spricht. Aus diesem Grund ist es wichtig, immer wieder eine Standortbestimmung vorzunehmen, sodass man sich zumindest innerhalb eines Behandlungsteams darüber Rechenschaft ablegt. Eine Sicherheitskultur zeichnet sich dadurch aus, dass man sich offen und interprofessionell darüber austauschen kann, was bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten gut, suboptimal oder schlecht gelaufen ist.

Wenn es im Behandlungsprozess zu einem unerwünschten Ereignis bei Patient:innen kommt, geschieht dies meistens infolge einer Verkettung von unsicheren Handlungen und organisationalen Umständen. Solche Patientengefährdungen ereignen sich also nicht im luftleeren Raum, sondern in einer dynamischen Wechselwirkung zwischen verschiedenen Beteiligten und ihren Arbeitsbedingungen – im Guten wie im Schlechten. In der Summe überwiegt das Gute, das heisst, sichere Behandlungsprozesse, auch wenn der Blick oft auf die Abweichungen und Fehler gerichtet ist.»

Welche Ratschläge oder Empfehlungen haben Sie für Patient:innen, um aktiv zur Förderung ihrer eigenen Sicherheit während eines Krankenhausaufenthalts oder in einer Pflegeeinrichtung beizutragen?

«Das Thema beschäftigt uns dann, wenn wir selbst als Patient:innen in Behandlung kommen. Es ist wichtig, nachzufragen, wenn etwas unklar ist und sich zu informieren. Vorausgesetzt natürlich, der Gesundheitszustand lässt dies zu und ich als Patient:in bin überhaupt in der Lage, mich entsprechend zu äussern.

Damit die bestmögliche Versorgung gewährleistet werden kann, hat man als Patient:in ja nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Aber oftmals ist man als Patient:in in einem ausserordentlichen, bedürftigen Zustand, anders als im sonst ‹normalen› Alltag. Werde ich plötzlich mit einem ungewohnten Umfeld konfrontiert, das ich nicht kenne, obwohl ich mich vielleicht schon im Vorfeld informiert habe, dann habe ich als Patient:in Erwartungen und Vorstellungen, wie mir geholfen werden sollte.

Hier sind die Ärzt:innen und Pflegefachpersonen gefordert, über Untersuchungen und Behandlungen zu informieren und aufzuklären. Und Patient:innen sollten beispielsweise nachfragen: ‹Wer ist für mich zuständig? Warum ist eine Untersuchung nötig und wie läuft sie ab oder warum bekomme ich dieses Medikament und das andere nicht mehr?› So kommt man aus der eher passiven Rolle als ‹Pflegeempfänger:in› heraus.

Man sollte sich auch aktiv einbringen, indem man von sich aus zum Beispiel auf eine bekannte Medikamentenallergie hinweist. Diese Information wird auch von Seiten der Gesundheitsfachleute systematisch abgefragt, damit unnötige Risiken vermieden werden. Patientensicherheit bedeutet dann, dass man sich als Patient:in darauf verlassen kann, dass wichtige Informationen zur Kenntnis genommen und entsprechende Vorsichtsmassnahmen getroffen werden.

Man muss sich als Patient:in auch bewusst sein: Jede Operation, jede Magenspiegelung oder medikamentöse Therapie stellt ein gewisses, wenn auch geringes, Risiko dar. Jedes Medikament, das therapeutisch wirksam ist, kann auch Nebenwirkungen haben. In den meisten Fällen verläuft eine Behandlung erwartungsgemäss gut, aber manchmal passiert doch etwas, was für die betroffenen Patient:innen, Angehörigen oder Fachpersonen schwerwiegende Auswirkungen haben kann.»

Patientensicherheit bedeutet in den Betrieben der Gesundheitsversorgung konstante Maintenance. Um Patientensicherheit nachhaltig zu gewährleisten, müssen ihre verschiedenen Aspekte – als Ausdruck der Sicherheitskultur – in einem Betrieb immer wieder thematisiert werden.

Prof. Dr. René Schwendimann

Wie sollte Patientensicherheit in der Aus- und Weiterbildung geschult werden?

«Im Mustercurriculum Patientensicherheit der WHO für die Ausbildung in Gesundheitsberufen sind Themen aufgeführt wie zum Beispiel klinische Risiken verstehen und managen, aus Fehlern lernen, um Schäden zu verhindern, Patient:innen und Angehörige miteinbeziehen. Im Masterstudiengang Pflegewissenschaft leitete ich den Semesterkurs Patientensicherheit und Qualität. Wir haben mit den Studierenden die oben genannten Themen behandelt, sowie weitere Themen wie: Art und Häufigkeit von kritischen unerwünschten Ereignissen, Fehlermeldesysteme, Sicherheitskultur und -kommunikation, Arzneimittelsicherheit, Infektionskontrolle und -prävention sowie Unterstützung von Patient:innen, Angehörigen und Fachpersonen, die von einem schwerwiegenden Ereignis oder Behandlungsfehler betroffen sind.

Die Vermittlung und Auseinandersetzung mit den Themen erfolgt in verschiedenen Formaten wie Vorlesungen, Diskussionsrunden, Simulationsübungen, Selbststudium und Praxisbesuchen. In den Semesterarbeiten wurden zu ausgewählten Themen (z. B. Medikationsfehler) konkrete Praxisbeispiele (aus einem Betrieb der Studierenden) systematisch analysiert und vor dem Hintergrund von Best practices, Verbesserungsmassnahmen abgeleitet und Empfehlungen ausgesprochen. Diese Lehr- und Lernformate lassen sich denn auch je nach Thema, Setting und teilnehmenden Fachpersonen anpassen.

Patientensicherheit bedeutet in den Betrieben der Gesundheitsversorgung konstante Maintenance, ständige Wartung. Um Patientensicherheit nachhaltig zu gewährleisten, müssen ihre verschiedenen Aspekte – als Ausdruck der Sicherheitskultur – in einem Betrieb immer wieder thematisiert werden, denn sie ist kein Selbstläufer.

Wagen wir den Vergleich mit dem Schienenverkehr: Dann ist die Patientensicherheit das Schienennetz und die damit verbundenen Strukturen und Prozesse, die durch Personal und technische Hilfsmittel im Dauerbetrieb sorgfältig bedient, regelmässig gewartet und weiterentwickelt werden müssen. Damit mit den Zügen, Bahnhöfen und Nebenbetrieben der Reiseverkehr und Warentransport sicher und zuverlässig von A nach B und C durchgeführt werden kann. Auch der Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim ist meiner Meinung nach eine kurze oder längere begleitete Reise im Leben eines Menschen.»

Literatur:

  • Vincent, C. (2011). Patient safety. John Wiley & Sons.
  • Vincent, C., Burnett, S., & Carthey, J. (2013). The measurement and monitoring of safety: Drawing together academic evidence and practical experience to produce a framework for safety measurement and monitoring. The Health Foundation. Volltext
  • World Health Organization. (2021). Global patient safety action plan 2021-2030: Towards eliminating avoidable harm in health care. Volltext

Diskutieren Sie mit!

  • Was tun Sie, wenn Ihnen im Team ein Fehler passiert ist? Wie gewährleisten Sie die psychologische Unterstützung?
  • Als Patient:in: Welche Schritte unternehmen Sie, um Risiken zu minimieren und die Qualität Ihrer Versorgung zu verbessern?
  • Welche Massnahmen können ergriffen werden, um ein sichereres Arbeitsumfeld für medizinisches und pflegerisches Personal zu schaffen?

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