Eine Gesundheitsversorgung ohne Grenzen
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Pflege ist eine wichtige zwischenmenschliche Beziehung, die durch die Digitalisierung unterstützt, aber nie ganz ersetzt werden kann. So das Fazit aus dem Careum Dialog 2018.
Die Digitalisierung beeinflusst unseren Alltag: Einkaufen, Musik hören oder Geld überweisen – das machen wir heute alles schon online. Auch in der Gesundheitsversorgung wird die Digitalisierung immer wichtiger. Allerdings hinkt die Entwicklung in diesem Bereich noch etwas hinterher. Grund genug, am Careum Dialog 2018 die Ausbreitung der «verbindenden Technologien» in der ambulanten und häuslichen Pflege aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Grosse Chance für eine Gesundheitsversorgung ohne Grenzen
Gut 60 hochkarätige Gäste aus den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung, Forschung, Wirtschaft und Politik sind dem Aufruf von Careum gefolgt. Unter dem Leitthema «Digital – Ambulant – Partizipativ» tauschten sich die Teilnehmenden aus den drei deutschsprachigen Nachbarländern Schweiz, Deutschland und Österreich am 8. und 9. Februar 2018 im Careum Auditorium über Chancen, Herausforderungen und Gefahren der Digitalisierung in der Pflege aus. Die Diskussionen unter der Moderation von Prof. Dr. Ilona Kickbusch, ehemalige Stiftungsrätin der Careum Stiftung, fielen sehr engagiert, kritisch und teilweise auch kontrovers aus.
Einig waren sich die Teilnehmenden, dass die Digitalisierung eine grosse Chance für eine Gesundheitsversorgung ohne Grenzen ist. Marianne Pfister, Geschäftsführerin Spitex Schweiz, zeigte sich in ihrem Impulsreferat überzeugt, dass die nächste Generation das bestmöglichste Angebot für ambulante Pflege zu Hause online bestellen möchte. Bewertung, Dokumentation der Pflegeeinsätze oder Versicherungsabrechnung: Alles könnte ortsunabhängig, flexibel und effizient über eine Onlineplattform oder App gelöst werden.
Die provokante Frage: Wieso gibt es dies nicht schon längst? Eine Antwort lieferte Maximilian Greschke, CEO des Startups Recare. Seine Vorgängerfirma Veyo Pflege bot genau einen solchen Online-Marktplatz in Deutschland an, der Pflegebedürftige und deren Angehörige mit passenden Pflegerinnen und Pflegern vernetzte. Allerdings ist das Modell an Regulatorien gescheitert. Inzwischen konzentriert sich Greschke mit seinem neuen Startup auf besseres digitales Entlassmanagement für Krankenhäuser.
Pascal Strupler als Botschafter für das elektronische Patientendossier
Die Digitalisierung stellt das Gesundheitswesen auf den Kopf: Die Gesundheitsdaten werden künftig beim Patienten und nicht mehr beim Arzt sein. Allerdings ist das elektronische Patientendossier in der Schweiz noch eine grosse Baustelle. Einen witzigen Vorschlag für mehr Breitenwirkung machte Prof. Dr. Iren Bischofberger, ehemalige Programmleiterin «work & care» beim Forschungsinstitut der Careum Hochschule Gesundheit: Sie wünscht sich Pascal Strupler, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit, als Botschafter für das elektronische Patientendossier analog zu Roger Federer als Paradebeispiel eines Markenbotschafters.
Dr. Judith Safford, Patientin und Geschäftsleiterin des Instituts für Rheumaforschung, hofft darauf, dass die Digitalisierung die Pflege revolutioniert. Vernetzte Daten und der bessere Zugang zu Informationen für Patienten bieten aus ihrer Sicht eine grosse Chance für eine bessere Pflege. Als besonders relevant für die Patienten wurde die Stärkung der Autonomie bezeichnet. Allerdings gab es auch kritische Stimmen zu Big Data: Hat der Patient immer Interesse an den Daten und die Kontrolle über die Kontrolle? Und wo ist der Aus-Knopf für Monitoring? Sicher ist: Die grosse Kunst wird es künftig sein, die Fülle an Daten lesen, vereinfachen und interpretieren zu können.
Es braucht eine interprofessionelle Bildungsoffensive
Ein wichtiges Anliegen aus den Diskussionen am Careum Dialog: Es braucht eine interprofessionelle Bildungsoffensive in Sachen Digitalisierung in der Pflege. Derzeit fehlt es noch an der nötigen Technikkompetenz. Gefordert wurde auch ein grundsätzlicher Investitionsschub in die digitale Infrastruktur.
Eine Streitfrage war die Rolle des Staates. Dies ging besonders aus der Diskussionsrunde mit Dr. Clemens Auer vom österreichischen Bundesministerium für Gesundheit, Christopher Bensch von Philips, SP-Nationalrätin Yvonne Feri und Manouchehr Shamsrizi vom Startup RetroBrain hervor. Auf der einen Seite der Ruf nach Standards, auf der anderen Seite die Überzeugung, dass weniger Staat mehr Innovation fördert.
Gemeinsame Erklärung zur digitalen Transformation
Dass sich Beziehungen durch die Digitalisierung auch verändern können, zeigte Susanne Brauer, Co-Leiterin von Brauer & Strub, anhand der Geschichte über den Hund «Pony» – ein von einem Menschen gesteuerten Avatar auf einem Tablet, der betagte Menschen zu Hause unterstützt – auf. Die Beziehung war am Ende so eng, dass Avatar «Pony» selbst bei der Beerdigung einer betreuten Person dabei war. Die Teilnehmenden blieben aber skeptisch, ob die Digitalisierung die Qualität der persönlichen Beziehung in der Pflege und Betreuung ersetzen kann. Der Grundtenor war, dass Pflege eine wichtige zwischenmenschliche Beziehung ist, die durch die Digitalisierung unterstützt, aber nie ganz ersetzt werden kann. Eine Live-Umfrage im Saal zeigte, dass Robotern künftig einfache Messtätigkeiten (Blutdruck oder Puls messen) in der Pflege und Betreuung zugetraut werden. Skeptisch waren die Teilnehmenden dagegen bei empathischen oder komplizierteren Vorgängen (Gespräche führen oder Spritzen setzen).
Am zweiten Tag arbeiteten die Teilnehmenden am Careum Dialog 2018 an einer gemeinsamen Erklärung zur digitalen Transformation in der Pflege. Die Inputs aus der Veranstaltung sind darin eingeflossen.
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