Erschöpftes Gesundheitspersonal kann die Patientensicherheit gefährden

Beeinflusst die Gesundheit des Pflegepersonals die Patientensicherheit?

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Medizinische Zwischenfälle und Behandlungsfehler prägen den Alltag im Gesundheitswesen. Die Menschen und das Umfeld, in welchem sie arbeiten, sind oft die Ursache bei der Entstehung von Fehlern. Die belastenden Arbeitsbedingungen sind hier sicher ein zentraler Faktor. Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Personalgesundheit sind zwingend nötig.

Es sind eindrückliche Zahlen und Fakten, die man in Fachartikeln liest: «Im Staate New York kam es bei 3,7 % der stationären Akutkrankenhausbehandlungen zu behandlungsbedingten Patientenschäden, von denen 28 % durch Fehler verursacht waren» (Scheppokat & Neu, 2021). In Grossbritannien sollen die jährlichen Kosten, die durch zusätzliche Spitaltage aufgrund von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen entstehen, rund eine Milliarde Pfund betragen (Vincent, 2012).

Auch in Schweizer Spitälern kommt es immer wieder zu medizinischen Zwischenfällen: von Fehlern bei der Verordnung und Verabreichung von Medikamenten bis hin zu Patient:innen- und Eingriffsverwechslungen. Wie hoch die Anzahl der gesundheitlichen Schäden bedingt durch unerwünschte Vorfälle in der Schweiz jährlich tatsächlich ist, bleibt unklar. Die Dunkelziffer ist gross.

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie werden Begriffe wie Stress, Erschöpfung, Überforderung und Burnout von der breiten Öffentlichkeit in Verbindung mit dem Pflegeberuf gebracht. Körperliche, zeitliche und psychische Belastungen sollen in Gesundheitsberufen gemäss einer Studie besonders hoch sein. Zusätzlich zu den alltäglichen Stressoren wie unregelmässige Arbeitszeiten, oft fehlende Pausen und häufige Unterbrechungen ist die Pflege von schwerkranken Patientinnen und Patienten und deren Schicksale ursächlich an der Entstehung der psychischen Belastung beteiligt (Schraner, 2018). Bei 15 % von befragten Pflegefachpersonen in der Schweiz ist eine hohe emotionale Erschöpfung zu verzeichnen (Schwendimann et al., 2014). Bei immer mehr Pflegenden soll diese gar zum Burnout führen.

Doch was haben Behandlungsfehler mit Erschöpfung von Pflegefachpersonen zu tun?

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler

Der Begriff der Patientensicherheit ist seit vielen Jahren aus dem Alltag der Gesundheitsversorgung nicht mehr wegzudenken. Er lässt sich als die «Vermeidung, Prävention und Verbesserung von unerwünschten Ergebnissen oder Schädigungen, die sich aus dem Behandlungsprozess ergeben» definieren (Vincent, 2012).

«Errare humanum est» – irren ist menschlich. Doch unerwünschte Ergebnisse, Zwischenfälle, Behandlungsfehler, sie alle lassen sich nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit dem Umfeld verstehen, in dem die Menschen arbeiten. Zahlreiche Umstände beeinflussen die Entstehung von Fehlern. Oft spielen individuelle Faktoren eine wesentliche Rolle (Vincent, 2012). Diese individuellen Faktoren, Human Factors, und hier spezifisch die Personalgesundheit, spielen eine zentrale Rolle im Entstehungsprozess von Zwischenfällen.

Wo Menschen arbeiten passieren Fehler

Errare humanum est. Bild: Depositphotos

Burnout – ein tiefgreifender Erschöpfungszustand

Glück und Zufriedenheit auf der einen, Depression und Angst auf der andern Seite beeinflussen die psychische Gesundheit (Hall et al., 2016). Burnout wird auch mit ausgebrannt sein umschrieben und bezeichnet einen Zustand der vollkommenen Erschöpfung – sowohl körperlich als auch psychisch. Aufgrund der starken Stressbelastung des Gesundheitspersonals am Arbeitsplatz steht ein Burnout in direkter Verbindung mit den vorherrschenden Arbeitsbedingungen (Garcia et al., 2019).

Die Auswirkungen auf die Patientensicherheit und das Arbeitsklima

Die Auswirkungen der Gesundheit von Pflegefachpersonen auf die Patientensicherheit wurde in den letzten Jahren in diversen Studien untersucht. Ein Zusammenhang zwischen der Gesundheit der Pflegenden und einem erhöhtem Risiko für Fehler konnte aufgezeigt werden. Eine Erschöpfung von Pflegefachpersonen führt zu einer Verschlechterung der Stimmung und Zusammenarbeit im Team, der Arbeitszufriedenheit generell und der Patientensicherheit als Ganzes (Garcia et al., 2019). Umgekehrt konnte auch nachgewiesen werden, dass ein tragendes Team mit einer niedrigen Burnout-Rate bei den Pflegenden und einem starken Gefühl der Zuversicht einhergeht (Vifladt et al., 2016).

Anders ausgedrückt: Überarbeitetes Personal läuft Gefahr, in ein Burnout zu fallen. Erschöpfung, Reizbarkeit und reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit können die Folgen sein. Diese Aspekte wiederum beeinflussen die Arbeitsleistung der einzelnen Person sowie die Zusammenarbeit und die Stimmung im Team. Mangelnder Zusammenhalt im Team, verschlechterte Pflegequalität und ein erhöhtes Risiko, Fehler zu machen, können resultieren (Hall et al., 2016). Es ist im Interesse von uns allen, dass Interventionen zur Sicherstellung der Personalgesundheit initiiert werden.

Eine Investition wert

Die Gesellschaft hat erkannt, dass Pflegefachpersonen Grossartiges leisten. Die Pflegeinitiative wurde im Herbst 2021 vom Schweizer Stimmvolk deutlich angenommen. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, soll in die Ausbildung von Pflegenden investiert werden. Auch verfolgen verbesserte, anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen das Ziel, Pflegefachpersonen länger im Beruf zu halten und diesen attraktiver zu machen. Der Weg dahin ist weit und steinig. Die Zustände am Patientenbett während der Covid-19 Pandemie konnten zwar die Relevanz dieser Anpassungen deutlich machen, doch auch sie haben den Prozess nicht beschleunigt.

Vielleicht hilft es, wenn man sich selber vorstellt, auf die Pflege und Betreuung von erschöpftem Gesundheitspersonal angewiesen zu sein? Um die Qualität der geleisteten Pflege aufrechtzuerhalten, ist es unumgänglich, dass die Gesellschaft die Gesundheit des Pflegepersonals nicht nur wahrnimmt, sondern auch in dieses investiert.

*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.

Literatur

Garcia, C., Abreu, L., Ramos, J., Castro, C., Smiderle, F., Santos, J., & Bezerra, I. (2019).Influence of Burnout on Patient Safety: Systematic Review and Meta-Analysis. Medicina, 55(9), 553. https://doi.org/10.3390/medicina55090553

Hall, L. H., Johnson, J., Watt, I., Tsipa, A., & O’Connor, D. B. (2016). Healthcare Staff Wellbeing, Burnout, and Patient Safety: A Systematic Review. PLOS ONE, 11(7), e0159015. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0159015

Scheppokat, K. D., & Neu, J. (2021). Fehler in der Medizin und Patientensicherheit. In C. Thielscher( Hrsg.), Handbuch Medizinökonomie I (S. 89–127). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17782-9_45

Schraner, T. (2018). Jede fünfte Pflegeperson an Zürcher Spitälern denkt über einen Berufsausstieg nach. Limmattaler Zeitung

Schwendimann, R., Ausserhofer, D., De Geest, S., & Widmer, M. (2014). Das Pflegefachpersonal in Schweizer Spitälern im europäischen Vergleich (Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan), Hrsg.).

Vifladt, A., Simonsen, B. O., Lydersen, S., & Farup, P. G. (2016). The association between patient safety culture and burnout and sense of coherence: A cross-sectional study in restructured and not restructured intensive care units. Intensive and Critical Care Nursing, 36, 26–34. https://doi.org/10.1016/j.iccn.2016.03.004

Vincent, C. (2012). Das ABC der Patientensicherheit. Stiftung für Patientensicherheit

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• Haben Sie selbst als Pflegefachperson ähnliche Erfahrungen gemacht?

• Haben Sie aus der Perspektive als Patient:in Erfahrungen mit Personal gemacht, das auf sie erschöpft und ausgebrannt wirkte?

• Welche Massnahmen zur Verbesserung der Personalgesundheit könnten den Teufelskreis durchbrechen?

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