SAMW Charta Interprofessionalität

Charta für gelingende Interprofessionalität

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Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat die Charta zur interprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen aktualisiert. Lernen Sie die zehn Kernelemente daraus kennen.

Im komplexer werdenden Gesundheitssystem ist die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen ein entscheidender Qualitätsfaktor. Aus dieser Überzeugung heraus veröffentlichte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) 2014 die erste Charta «Zusammenarbeit der Fachleute im Gesundheitswesen». Unterdessen wurden in der Schweiz zahlreiche Initiativen und Projekte zur interprofessionellen Zusammenarbeit und interprofessionellen Bildung lanciert und erfolgreich umgesetzt.

Neue Entwicklungen berücksichtigt

Um diese erfreuliche Entwicklung zu unterstüt­zen, hat eine Arbeitsgruppe die Charta überarbeitet und dem neuen Wissensstand sowie den veränderten Verhältnissen angepasst. Mit dabei war unter anderem Iren Bischofberger, ehemalige Leiterin des Forschungsprogramms «work & care» an der Careum Hochschule Gesundheit.

Die neue Charta 2.0 präzisiert den bisherigen Inhalt und berücksichtigt neue Entwicklungen wie die Outcome-Messung, die Personalisierung und Digitalisierung der Medizin oder das Konzept der personenzentrierten Gesundheitsversorgung. Sie beschreibt das heutige Verständnis von interprofessioneller Zusammearbeit und formuliert Prinzipien, Kernelemente und Verpflichtungen aller Beteiligten für eine gelingende interprofessionelle Zu­sammenarbeit.

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Besser im Team: Im komplexen Gesundheitssystem ist die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Bild: Wavebreakmedia/Shutterstock.com

10 Kernelemente aus der Charta 2.0

1. Betroffene und Angehörige sind in die interprofessionelle Zusammenarbeit partnerschaftlich eingebunden.

Der geltende gesetzliche Rahmen (insbesondere das Erwachsenenschutzrecht) setzt die informierte Zustimmung der Betroffenen zu sämtlichen medizinischen Massnahmen voraus. Patientinnen und Patienten oder gegebenenfalls ihre Angehörigen sollen deshalb eine aktive Rolle im Gesundheitswesen einnehmen und sich an Entscheidungen zu Behandlung und Betreuung beteiligen. Als «Experten in eigener Sache» können sie – soweit fähig und kompetent – die Behandlungsqualität und das Gesamtergebnis beeinflussen.

2. Interprofessionelle Zusammenarbeit zielt auf den Nutzen für Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen.

Interprofessionelle Zusammenarbeit bedeutet Mehraufwand für alle beteiligten Fachpersonen. Dieser ist jedoch gerechtfertigt, wenn damit die Versorgungsqualität verbessert werden kann. Im Hinblick darauf bieten sich PREMs (Patient Reported Experience Measures) und PROMs (Patient Reported Outcome Measures) an. Diese können die Patientenerfahrungen und den selbsteingeschätzten Gesundheitszustand als Feedback und Quelle für Prozessverbesserungen zugänglich machen.

3. Die interprofessionelle Entscheidungsfindung ist zentraler Bestandteil der interprofessionellen Zusammenarbeit. Sie erlaubt eine integrierte Versorgung und ist entsprechend koordiniert.

Bei komplexen klinischen Situationen ist eine gemeinsame Entscheidungsfindung unumgänglich. Der integrierte Zugriff auf sämtliche Informationen, zum Beispiel durch digitale Dokumentations- und Entscheidungshilfen, trägt dazu bei, ein gemeinsames Verständnis einer Patienten- und Angehörigensituation zu entwickeln. Erst dieses gemeinsame Verständnis erlaubt die Planung und Durchführung interprofessionell abgestimmter Handlungen.

4. Das Übernehmen von Verantwortung orientiert sich an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen und an den benötigten fachlichen Kompetenzen.

Die Gesundheitsfachleute sind entsprechend ihren spezifischen Kompetenzen und Fähigkeiten tätig und tragen die Verantwortung für ihr Handeln. Die Übernahme von Verantwortung durch verschiedene Gesundheitsfachleute bedingt einen zusätzlichen Organisationsaufwand und klare Rollenbeschreibungen, die den Aufgabenbereich definieren.

5. Interprofessionelle Zusammenarbeit orientiert sich am Behandlungs- und Betreuungssetting.

Interprofessionelle Zusammenarbeit ist ein Mittel für spezifische Probleme in der Behandlung und Betreuung und ergänzt die professionelle Praxis. Sie kann vielfältige Formen annehmen. Diese sind wesentlich durch das Versorgungssetting und die Art der Krankheit oder Beeinträchtigung geprägt. Diese Unterschiede sind für die konkrete interprofessionelle Zusammenarbeit zu berücksichtigen.

6. Die Berufs- und Fachverbände fördern eine Kultur der interprofessionellen Zusammenarbeit.

Empfehlungen an die Praxis (zum Beispiel in Form von Leitlinien), die Aus- und Weiterbildung, die Forschung und die politische Meinungsbildung fördern die Weiterentwicklung und damit die Kultur der interprofessionellen Zusammenarbeit. Berufs- und Fachverbände haben eine wichtige Rolle inne, indem sie gemeinsame Veranstaltungen durchführen, in interprofessionell zusammengesetzten Fachgremien tagen und Vernehmlassungsprozesse interprofessionell abstimmen.

7. Eine gelingende interprofessionelle Zusammenarbeit basiert auf der Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen in Aus-, Weiter- und Fortbildung.

Die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Gesundheitsfachleute umfasst die notwendigen kooperativen Elemente. In gemeinsamen Modulen mit interaktiven Lernsequenzen werden allen Gesundheitsfachleuten ergänzend zu den jeweiligen spezifischen Kenntnissen berufsübergreifende Grundelemente vermittelt. Dies sind zum Beispiel Kommunikation, Ethik, Gesundheitsökonomie und -politik sowie Prinzipien der interprofessionellen Zusammenarbeit, wie die Patientenzentrierung, das Erkennen professionsspezifischer Grenzen oder die Verbesserung der Betreuungskoordination. Im Sinne eines lebenslangen Lernens besuchen alle Gesundheitsfachleute regelmässig auch Veranstaltungen, die interprofessionelle Kompetenzen fördern und die kooperative Berufspraxis reflektieren.

8. Interprofessionelle Zusammenarbeit und integrierte Behandlung und Betreuung gehören zusammen.

Viele Faktoren, die das Gelingen der interprofessionellen Zusammenarbeit unterstützen, tragen gleichzeitig zu einer gelingenden integrierten Versorgung bei: offene Kommunikation, gegenseitiges Vertrauen und Respekt, das Kennen aller am Versorgungsprozess beteiligten Personen und deren Rollen, die Klärung der Machtverhältnisse und Entscheidungsbefugnisse, eine auf Zusammenarbeit ausgerichtete Arbeitsumgebung, die konsequente Ausrichtung an personenzentrierter Versorgung, etc.

9. Interprofessionalität ist eine Leitungsaufgabe.

Die Führungspersonen und -gremien von Gesundheitseinrichtungen sind verantwortlich für den anzustrebenden Kulturwandel. Sie fördern eine Kultur der Interprofessionalität und setzen diese im Rahmen ihrer strategischen, finanziellen und personellen Entscheide um. Dabei sollen sie den gesetzlichen, finanziellen und tariflichen Rahmen bestmöglich ausschöpfen.

10. Die Berufsverbände setzen sich gemeinsam für geeignete gesetzliche Rahmenbedingungen und Anreize zur Förderung der Interprofessionalität ein.

Die interprofessionelle Aus- und Weiterbildung und die Zusammenarbeit sollten auf gesetzlichen Grundlagen beruhen und durch finanzielle Anreize unterstützt werden. Damit wird gewährleistet, dass Interprofessionalität nicht nur auf den guten Willen der beteiligten Akteurinnen und Akteure angewiesen ist. Die Aus- und Weiterbildungsgänge sind evidenzbasiert und folgen zeitgemässen didaktischen Standards.

Ergebnis eines Konsenses

Die Charta 2.0 ist wie ihre Vorgängerin das Ergebnis eines Konsenses. Sie ist keine Richtlinie, sondern viel­mehr eine Absichtserklärung bzw. ein Orientierungs­punkt für Gesundheitsfachpersonen. Mit der Charta richtet sich die SAMW an die in der Gesundheitsversorgung aktiven Fach­leute, Berufsverbände und Institutionen.

Weiterführende Links bei Careum

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  • Welche Erfahrung haben Sie mit interprofessioneller Zusammenarbeit im Gesundheitswesen gemacht?
  • Wie fest ist die interprofessionelle Zusammenarbeit im Berufsalltag verankert?
  • Inwiefern gibt es noch Verbesserungspotenzial in Sachen interprofessionelle Zusammearbeit im Gesundheitswesen?

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