Dialyseabbruch – eine besondere Herausforderung
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Am Weltnierentag vom 10. März 2022 steht die Bedeutung dieses wichtigen Organs im Vordergrund. Trotz immenser Fortschritte in der nephrologischen Behandlung gibt es Situationen, in denen eine Dialysebehandlung nicht mehr fortgesetzt wird.
Immer mehr Menschen leiden an fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankungen. Verbesserte Behandlungsoptionen und individuelle Krankheitsverläufe führen häufig dazu, dass immer mehr Patientinnen und Patienten, deren Nierenerkrankung mittels Dialyse behandelt werden, älter und gebrechlicher werden. Oft kommen andere Krankheiten dazu, so dass sie sich in einem schlechten Allgemeinzustand befinden (Combs & Davison, 2015).
Wann wird eine Behandlung abgebrochen?
Im Verlauf einer jahrelangen Dialysebehandlung zeigen sich bei den Betroffenen häufig verschiedene Symptome wie chronische Müdigkeit (Fatigue), Schmerzen, Schlafstörungen, Depressionen oder Angst (Metzger et al., 2021). Oft gibt es mehrere, vielschichtige Symptome von dialysepflichtigen Patientinnen und Patienten, die schon länger krank sind. Vor allem ein schwankender Kreislauf begleitet viele Betroffene in allen Phasen der Dialysebehandlung. Damit gehen häufig Schwindel, Gangunsicherheiten und erhöhte Sturzgefahr einher. Dies beeinflusst die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Betroffenen sehr. So ziehen sie oft einen Abbruch der lebenserhaltenden Therapie in Betracht.
Das Behandlungsteam kann einen medizinisch indizierten Dialyseabbruch erwägen, wenn sich grosse Zweifel über den Nutzen und den Sinn der Massnahme und deren Aufrechterhaltung mehren (Studer, 2013).
Kommunikation ist bei Dialyseabbruch wichtig
Die Entscheidung zum Dialyseabbruch und die Begleitung der Betroffenen und des sozialen Umfeldes nach einem Abbruch müssen Fachleute sorgfältig kommunizieren und im Sinne einer vorausschauenden Planung besprechen. Alle Beteiligten müssen sich den Konsequenzen der Entscheidung bewusst sein. Palliative Massnahmen für die einsetzende Sterbephase müssen nahtlos angeboten und sichergestellt werden.
Dabei sollte die nephrologische und die palliative Versorgung Hand in Hand gehen. Die Verantwortlichen müssen fachübergreifend planen und gestalten.
Begleitung im Sterbeprozess
Der Abbruch der Dialyse und der damit bewusst ausgelöste Beginn des Sterbeprozesses kann als emotionale und psychosoziale Extremsituation verstanden werden. Dies bringt Betroffene und Angehörige an ihre existenziellen Grenzen. Auch für das Behandlungsteam ist dies mit Herausforderungen verbunden. Daher sollte der Prozess von erfahrenen Fachpersonen eines interprofessionellen Teams eng begleitet werden. Die durchschnittliche Lebensdauer nach dem Dialyseabbruch beträgt sieben Tage. Die Hälfte der betroffenen Patientinnen und Patienten verstirbt zwischen dem siebten und elften Tag nach Beenden der Intervention (Chen et al., 2018).
Um die verbleibende Lebenszeit in bestmöglicher Lebensqualität verbringen zu können, müssen Antworten auf die wichtigsten Fragen gefunden werden (vgl. Abbildung 2). Diese beziehen sich vor allem auf die nach dem Abbruch einsetzenden Symptome einer Urämie. Da der Körper Stoffwechselabbauprodukte nicht mehr aus dem Körper entfernen kann, führt dies unter anderem zu Atemnot, peripheren Ödemen, Übelkeit und Erbrechen, Veränderungen im Bewusstseinszustand und epileptischen Anfällen (Bausewein et al., 2021).
Auch soll der Sterbeort gewählt werden. Wichtig ist dabei, nicht nur die Bedürfnisse und Wünsche der Patientinnen und Patienten im Blick zu haben, sondern insbesondere auch der Angehörigen. Denn eine Begleitung in den letzten Tagen kann für sie sehr belastend und nicht immer möglich sein. Hier müssen die Beteiligten sorgfältig abwägen, was sie machen können. Sonst führt dies rasch zur Überforderung und möglicher Traumatisierung.
Wenn alle sorgfältig abgewogen und entschieden haben, die lebenserhaltenden Massnahmen nicht weiterzuführen, beginnt ein Prozess, der sich unterschiedlich gestaltet. Die Phasen des Dialyseabbruchs und die Begleitung der Menschen, die zuhause sterben möchten, können geplant werden.
Pflegefachpersonen in der klinischen Praxis sind mit den geschilderten Herausforderungen konfrontiert. Der regelmässige Austausch im Team, die Möglichkeit der geführten Supervision sowie fundiertes, reflektiertes Fachwissen können helfen, diese Situationen professionell zu meistern. So kann eine gute Begleitung von Menschen nach einem Dialyseabbruch und ihren Angehörigen bis zuletzt gelingen.
Weiterbildungsmöglichkeiten an der Careum Hochschule Gesundheit
*Der Blogbeitrag beruht auf einem Referat von Tanja von Arx, Absolventin CAS FH in Nephrological Care an der Careum Hochschule Gesundheit. Das Thema präsentierte sie am 9. Dezember 2021 am Pflegesymposium anlässlich der 53. Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie.
Literatur
Bausewein, C., Roller, S. & Voltz, R. (2021). Dialyse. In: C. Bausewein, S. Roller & R. Voltz (Hrsg). Leitfaden Palliative Care. 7. Aufl., München: Elsevier/Urban & Fischer, 31–33.
Chen, J.C.Y. et al. End of Life, Withdrawal, and Palliative Care Utilization among Patients Receiving Maintenance Hemodialysis Therapy. Clinical Journal of American Society of Nephrology, 13 (8) 1172–1179. Abstract
Combs, S.A. & Davison, S.N. (2015). Palliative and end-of-life care issues in chronic kidney disease. Curr Opin Support Palliative Care; 9 (1), 14–19. Kidney Int Rep., 6, 894–904. Abstract
Metzger, M., Abdel-Rahman, E.M., Boykin, H. & Song, M.-K. (2021). A Narrative Review of Management Strategies for Common Symptoms in Advanced CKD. Kidney Int Rep., 6, 894–904.
Studer, C. (2013). Leitfaden zur Entscheidungsfindung bei der Frage nach Dialyseabbruch. Referat Pflegesymposium der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie, 18.11.2013, Interlaken. PDF
von Arx, T. (2021). Dialyseabbruch – Lebensqualität bis zum Tod. Referat Pflegesymposium der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie, 09.12.2021 Interlaken.
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- Was hat Sie dabei besonders gefordert?
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Kommentare
Jörg Haslbeck
15.03.2022Liebe Elke,
eine wichtige Veröffentlichung, vielen Dank, auch an Frau von Arx, dass sie diese freigegeben hat. Mich hat der Beitrag an meine Ausbildungszeit erinnert, wo ich ein paar Monate auf der Nephrologie inklusive Transplantation verbracht hatte.
Damals in den 1990er Jahren kann ich mich nicht erinnern, dass Ansätze wie klinische Ethik in solchen anspruchsvollen, für alle Beteiligten belastenden Entscheidungsprozessen einbezogen wurde.
Wie ist das heute? Wird bei einem Abbruch bspw. per interdisziplinärer Fallbesprechung auch unter Einbezug der klinischen Ethik entschieden? Oder die Situation später kollegial reflektiert?
Herzlichst, Jörg
Elke Steudter
14.04.2022Lieber Jörg
Vielen Dank für deinen Kommentar. Die Entscheidungsprozesse für einen Dialyseabbruch sind in den Zentren heute in der Regel klar definiert. Zunächst wird geschaut: Ist es ein medizinisch-indizierter Dialyseabbruch oder wird es als Patient:innenwunsch ans Team herangetragen. Wird beispielsweise ein medizinisch-induzierten Dialyseabbruch nötig, wird meist ein interprofessionelles Roundtable-Gespräch initiiert, an dem auch die klinische Ethik beteiligt werden kann. Oft zeichnet sich ein solcher Therapieabbruch ja bereits über mehrere Wochen ab, so dass dies frühzeitig oder zeitnah in (ethischen) Fallbesprechungen diskutiert wird. Basierend auf diesem wird dann das weitere Vorgehen diskutiert. So wird dieses existenzielle Thema heute aus verschiedenen Perspektiven aufgegriffen, in der die ethische Auseinandersetzung eine tragende Rolle einnimmt und fachlich begleitet wird.
Andrea Müller
13.08.2024Zu ihrem Beitrag möchte ich etwas wichtiges schreiben, da ich als Mutter selbst betroffen bin. Meine Tochter verstarb nach 15 Jahren Dialyse und sie hat das für sich selbst entschieden. Sie war 33 Jahre alt. Ich musste die Entscheidung, was nicht einfach war, akzeptieren. Ich habe sie auf ihrem Weg begleitet und war 1 Woche auf der Palliativstation.
Elke Steudter
27.08.2024Liebe Frau Müller
Vielen Dank, dass Sie Ihre - sicher schmerzvollen - Erfahrungen durch Ihre Zeilen mit uns teilen. Sie schildern dies eindrücklich und es zeigt, wie wichtig und verantwortungsvoll das Thema für die Familien und die Begleitung durch die Palliative Care ist.
Ich wünsche Ihnen für das Kommende Kraft und Trost im Kreise Ihrer Familie und Freunde.
Mit anteilnehmenden Grüssen
Elke Steudter