Move it - Careum Pflegesymposium 2024

Careum Pflegesymposium 2024: «Move it!» - Körperliche und geistige Mobilität wahren und fördern

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Am 11. Juni 2024 fand das jährliche Careum Pflegesymposium statt, welches unter dem Motto «Move it! – Körperliche und geistige Mobilität wahren und fördern» stand. Expert:innen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens diskutierten zusammen über aktuelle Themen und Herausforderungen, die den Pflegeberuf heute prägen.

Bewegung – ob körperlich oder geistig – ist nicht nur eine zentrale Fähigkeit, sondern ein essenzielles menschliches Bedürfnis und Ausdruck gelebter Autonomie. Schon wenige Tage eingeschränkte Mobilität können das Wohlbefinden und die mentale Verfassung negativ beeinflussen. Wir beginnen erst allmählich zu verstehen, welche Aufgaben sich daraus für Pflege und Therapie ergeben. Es liegt auf der Hand, dass Mobilität und geistige Agilität untrennbar miteinander verbunden sind und ein integraler Bestandteil einer ganzheitlichen Pflege sein müssen.

Nadja Sträuli, Bereichsleiterin Gesundheit & Gesellschaft bei Careum Weiterbildung, eröffnete das 7. Pflegesymposium von Careum Weiterbildung mit inspirierenden Worten und begleitete durch das Programm. Sie kündigte einen Tag voller wertvoller Anregungen und Impulse an, die von den Teilnehmenden in ihren bewegten und bewegenden Praxisalltag integriert werden können.

Jeder Schritt zählt – die Kraft der Bewegung

Im packenden Eröffnungsreferat «Jeder Schritt zählt: ein Plädoyer auf das Sich-Bewegen!» gab Frau Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari Einblicke in die Forschung im Hinblick auf die Krankheitsprävention, den Funktionserhalt und die Verlangsamung unseres Alterungsprozesses.

Pflegesymposium 2024: Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari

Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari macht in ihrem Referat «Jeder Schritt zählt» die Relevanz von Bewegung deutlich. Bild: Tim Wettstein/Careum

Die Direktorin des Forschungszentrum Alter und Mobilität sowie Lehrstuhlinhaberin Geriatrie und Altersforschung an der Universität Zürich betonte, dass regelmässige Bewegung eine der besten Massnahmen für unsere Gesundheit ist. Bewegung spielt eine entscheidende Rolle in der Vorbeugung von Krankheiten, unterstützt bei akuten Erkrankungen und hilft bei der Rehabilitation. Studienbasiert zeigte sie den Teilnehmenden eindrückliche Daten, die verdeutlichen, dass selbst leichte körperliche Aktivitäten signifikante Vorteile haben. Besonders beeindruckend ist, dass tägliche Schritte – idealerweise zwischen 8’000 und 10’000 – das Risiko einer frühzeitigen Sterblichkeit um bis zu 40% senken können. Andere epi-genetische Faktoren, wie eine Harvard-Studie zeigt, tragen ebenso zur Erhöhung der gesunden Lebenserwartung bei. Sie präsentierte spannende Daten, welche die Verlangsamung des Alterungsprozesses verdeutlichen mit gleichzeitigem Erhalt der Autonomie und einer hohen Lebensqualität.

Im nächsten Referat stellte Franziska Reiser das interprofessionelle «StoppSturz-Projekt» vor, das ein strukturiertes Vorgehen zur Sturzprävention zum Ziel hat. Anhand einer BFU-Hochrechnung aus dem Jahr 2023 veranschaulichte die Pflegeexpertin APN, weshalb das Thema Sturz so wichtig ist. In der Schweiz gibt es jährlich rund eine Million Nichtberufsunfälle, von denen 290’000 durch Stürze verursacht werden. Besonders besorgniserregend: 90’000 dieser Stürze betreffen Personen über 65 Jahre, wobei die Hälfte dieser Unfälle in den eigenen vier Wänden geschieht.

«StoppSturz»: Risiko erkennen, Risiko erfassen und Risiko reduzieren

An dem Fallbeispiel eines 82-jährigen Kunden der Spitex erläuterte sie die Sturzanamnese, die Durchführung gezielter Assessments und die Planung sowie Durchführung von Massnahmen. Die Massnahmen sind vielfältig und umfassen beispielsweise die Anpassung der Ernährung, Bewegungsübungen, den Einbezug von Physiotherapeut:innen oder die Information der Hausärzt:innen, um die Medikation zu überprüfen. Sie betonte weiter, dass zusätzlich zu den Personal- und Zeitressourcen die Bereitschaft der Kund:innen essentiell ist, um das strukturierte Vorgehen im Arbeitsalltag zu integrieren. Nur so gelingen die drei wichtigen Schritte - Risiko erkennen, Risiko erfassen und Risiko reduzieren – des nationalen Projekts «StoppSturz».

Mehr Bewegung für eine verbesserte Lebensqualität

Im nachfolgenden Referat stellten Monika Kehrein und Dr. Emanuel Brunner ein Projekt der Sonnweid in Wetzikon vor. Diesen Sommer wird im Pflegeheim Sonnweid, das eine würdevolle Umgebung für Menschen mit Demenz bietet, die Wirksamkeit einer Exergaming-Intervention evaluiert. Ihr langfristiges Ziel ist es, den Menschen in der Langzeitpflege das Potenzial von Bewegung näherzubringen. Bewegung soll ihnen helfen, ihre körperlichen Fähigkeiten zu erhalten, aktiver zu werden, weiter am Leben teilzunehmen und ihre Lebensqualität zu verbessern.

In einem ersten Teil des Referats machte Dr. Emanuel Brunner, Physiotherapeut und Studiengangsleiter BScN Physiotherapie, die grundlegende Rolle der Erhaltung von kognitiven und körperlichen Funktionen für das Wohlbefinden im Alter deutlich. Im zweiten Teil gab Monika Kehrein, welche seit sieben Jahren als Pflegedienstleitung in der Sonnweid arbeitet und wirkt, berührende Einblicke in ihr Arbeitsumfeld. Sie zeigte dem Publikum auf, dass die Sonnweid kein Haus mit einem Konzept «Demenz» ist. Nein, in der Sonnweid wohnen 174 unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Konzepten, wie ihr restliches Leben gelebt werden soll und darf. Bekannt ist, dass körperliches Training das Potenzial hat, die Selbstständigkeit, die kognitiven Fähigkeiten und die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern. Dennoch ist es in Pflegeeinrichtungen noch immer eine Herausforderung, Bewohner:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu mehr Bewegung zu motivieren. Frau Kehrein gab Einblick in die grundlegenden Gedanken zu Bewegung und Mobilität im Alltag der Sonnweid. Der Mensch darf und soll sich frei bewegen dürfen. Gastfreundliche Wohneinheiten laden mit weiten Fluren und offenen Türen sowie einem grosszügigen Garten zu einer bestmöglichen Normalität und Autonomie für die Bewohner:innen ein.

Sie plädierte für ein Miteinander auf Augenhöhe, geprägt von Respekt und Würde, und appellierte daran, den Menschen mit Demenz Vertrauen entgegenzubringen. Aus ihrer Erfahrung heraus weiss sie, dass Menschen mit Demenz zu viel mehr fähig sind als oft angenommen. 

Pflegesymposium 2024: Publikum

Das vielseitige Programm begeistert ein breites Publikum. Bild: Tim Wettstein/Careum

Vor der Mittagspause aktivierte der nächste Referent, Pascal Tribolet, das Publikum mit einigen Bewegungen und servierte anschliessend sein Referat originell strukturiert als Menü. Der erfahrene Ernährungsberater SVDE und wissenschaftliche Mitarbeiter der Medizinischen Universitätsklinik am Kantonsspital Aarau ermöglichte spannende Einblicke in das Thema Mangelernährung und dessen Auswirkungen auf die körperliche und geistige Mobilität. Es setzte sich zum Ziel, die Teilnehmenden auf das Thema zu sensibilisieren und zu verdeutlichen, was im Alltag machbar ist.  

Muskelkraft mit angemessener Energie- und Nährstoffzufuhr aufrechterhalten

Mangelernährung ist ein weit verbreitetes Problem, das besonders ältere und pflegebedürftige Menschen betrifft. Unzureichende Energie- und Nährstoffzufuhr kann zu Muskelabbau sowie Beeinträchtigungen der körperlichen und geistigen Funktionen führen. Dies verschlechtert oft die Prognose und den Verlauf bestehender Erkrankungen. In den letzten Jahren hat sich die Ernährungstherapie zur Behandlung der Mangelernährung erheblich weiterentwickelt. Diese Fortschritte haben das Verständnis für klinische Ernährung grundlegend verändert und bieten neue Ansätze, um die Gesundheit und Lebensqualität betroffener Menschen zu verbessern.

Zum Abschluss seines Referats gab Pascal Tribolet den Teilnehmenden Inspiration, wie das Wissen aus der Forschung in die Praxis gebracht werden kann. Dazu präsentierte er eine hilfreiche Toolbox, die das individualisierte und evidenzbasierte Mangelernährungsmanagement von Patient:innen erleichtert.

Um die Bewegungsfreude im Saal zu fördern, schloss der Morgen mit einem originellen fünfminütigen Bewegungsprogramm. Dieses trug nicht nur zur guten Stimmung bei, sondern regte auch den Appetit der Teilnehmenden nochmals an.

Methoden zur Steigerung der Kreativität und Integration in den Arbeitsalltag

Nach der Mittagspause nahm die Organisationsberaterin Odette Häfeli das Publikum mit auf die spannende Reise rund um das Thema Kreativität. Sie ging der Frage nach, was hinter dem Schlagwort steckt und wie die eigene Kreativität gesteigert werden kann. Auch motivierte sie das Publikum zum Austausch untereinander und leitete gemeinsame Aktivierungsübungen an, die das Gehirn anregen. Bewegung hat einen äusserst positiven Einfluss auf die Hirnaktivität. Dies veranschaulichte sie anhand von Erkenntnissen, welche die Hirnaktivität im Stillen und im Vergleich dazu nach 20 Minuten Bewegung zeigt. Der Unterschied ist frappant.

Indem sie den Begriff der Kreativität von verschiedenen Seiten beleuchtete, zeigte sie auf, wie Kreativitätstechniken genutzt werden können und wie Kreativität in der Pflege eine bereichernde Rolle spielen kann.

Pflegesymposium 2024: Odette Häfeli

Mit Bewegung die Kreativität fördern, davon ist die Organisationsberaterin Odette Häfeli überzeugt. Bild: Tim Wettstein/Careum

No-Go’s in Do’s umwandeln zur Steigerung der Praktikabilität 

Anschliessend nahmen die Pflegeexpertinnen Natalie Lehmann und Marina Steiger aus der Akutgeriatrie des Kantonsspitals Winterthur die Teilnehmer:innen mit in die Praxis. Im Jahr 2020 initiierte das Fachteam Pflege in ihrem Arbeitsbereich ein Praxisentwicklungsprojekt zu den Empfehlungen der geriatrischen No-Go’s, die von der akademischen Fachgesellschaft Gerontologische Pflege (AFG/VFP) publiziert wurden. Sie zeigten auf wie ihr Team zu jedem No-Go eine praktische Handlungsempfehlung, ein sogenanntes Do, erarbeitet hat. So wurde das No-Go «Lass ältere Menschen nicht im Bett liegen oder nur im Stuhl sitzen» zum Do «Fördere die Mobilität von älteren Menschen mindestens 30 Minuten pro Tag». Mit einem Rollenspiel machten sie dieses Do noch verständlicher und zeigten auf sympathische Art und Weise, wie sehr sie sich für diese kleinen, alltagsorientierten und gezielten Massnahmen engagieren. Sie überzeugten das Publikum, dass auch in einem volatilen Umfeld wie demjenigen eines Akutspitals Mobilitätsförderung realisierbar ist.

Pflegesymposium 2024: Rollenspiel Natalie Lehmann und Marina Steiger

Natalie Lehmann und Marina Steiger geben mit ihrem Rollenspiel einen spannenden Einblick in ihr Praxisentwicklungsprojekt. Bild: Tim Wettstein/Careum

Mobilitätsförderung im Spital: Herausforderungen und Perspektiven

Zum Abschluss des vielseitigen Programms beleuchtete Anita Hartmeier, Leitende Physiotherapeutin des Bürgerspitals Solothurn, die Thematik «Mehr Bewegung im Spital». Es klingt einfach, ist aber äusserst anspruchsvoll. Obwohl Studien zeigen, dass Patient:innen während ihres Spitalaufenthaltes oft bewegungsarm sind, ist es schwierig, adäquate Mobilität zu fördern. Besonders ältere Patient:innen riskieren durch Bewegungsmangel einen spitalbedingten funktionellen und kognitiven Abbau. Solche spitalassoziierten Beeinträchtigungen treten bei mindestens 30% der über 70-jährigen Patient:innen auf und können die Rückkehr ins häusliche Umfeld erschweren sowie Komplikationen wie Pneumonie, Dekubitus und Delirium begünstigen. Mobilitätsförderung im Akutspital bleibt anspruchsvoll aufgrund der Komplexität der Umgebung und unterschiedlichen Sichtweisen im interprofessionellen Team. Aktivitätsförderung hat oft niedrige Priorität, obwohl sie für ältere Menschen entscheidend ist. Verbesserungsansätze zeigen, dass systematische, altersfreundliche Rahmenbedingungen und multidisziplinäre Konzepte erforderlich sind.

Anita Hartmeier legte dem Publikum ans Herz, sich für die Förderung der Mobilität einzusetzen. Als Inspiration stellte sie die schweizweite Initiative «Hospital in Motion» vor und gab Einblick in den 1. Nationalen Aktionstag «Bringt Bewegung ins Spital», der am 6. April 2024 stattfand. Dieser Aktionstag wird künftig jährlich stattfinden und freut sich über zusätzliche Unterstützung.

Das diesjährige Pflegesymposium machte deutlich, dass die Mobilitätsförderung nicht nur eine Herausforderung ist, sondern auch eine dringende Notwendigkeit. Möge das gemeinsame Engagement dafür sorgen, dass die Mobilität im Pflegealltag zur Norm wird, um das Wohlbefinden und die Genesung der Patient:innen nachhaltig zu fördern. 

Medienberichte

Artikel Clinicum Nr. 4/2024: «Move it!» – ein reiches Potpourri an Fakten und Perspektiven

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