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Impulsnachmittag Gerontologie: «Selbstbestimmt Altern» in der Gemeinde

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Der demografische Wandel stellt unsere Gemeinden vor neue Herausforderungen: Wie können wir sicherstellen, dass ältere Menschen selbstbestimmt und integriert in ihrer Gemeinde leben können? Welche neuen Lebensformen und Unterstützungsmodelle sind erforderlich, um dies zu ermöglichen? Diese und weitere Fragen standen am 16. Januar 2025 im Zentrum unseres Impulsnachmittags zur Gerontologie und kommunalen Altersarbeit in Kooperation mit dem Institut Alter der Berner Fachhochschule. Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen kamen zusammen, um neue Ansätze und innovative Lösungen zu diskutieren, die das Leben im Alter erleichtern können.

Wohnen bedeutet für ältere Menschen mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Es umfasst das Gefühl des Daheimseins, soziale Beziehungen in der Nachbarschaft und Angebote im Wohnumfeld. Diese Faktoren spiegeln zentrale Grundbedürfnisse wider – Sicherheit, Geborgenheit und Selbstbestimmung – und zeigen, dass Wohnen ein dynamischer Prozess ist, der sich mit individuellen und gesellschaftlichen Veränderungen wandelt.

In ihrem Eröffnungsreferat «Wohnen und Älterwerden – Hintergründe und Denkanstösse» beleuchtete Prof. Dr. Nicola Hilti die Entwicklungen rund um das Wohnen im Alter und gab wertvolle Impulse für zukünftige Wohnangebote in Gemeinden. Sie zeigte anhand eines sozialräumlichen Verständnisses und praktischen Beispielen, wie sich die demografische Alterung und die neuen Generationen im Alter auf die Wohnbedürfnisse auswirken.

Aktuelle Wohnsituation in der Schweiz

Prof. Dr. Nicola Hilti ging in ihrem Vortrag auch auf Erkenntnisse aus dem «Age Report V, 2024» ein, der sich mit den Wohnformen von Menschen in der Schweiz ab 65 Jahren auseinandersetzt. Die Analyse zeigt, dass die Schweiz weiterhin ein Land der Mieter ist, mit einem Verhältnis von zwei Dritteln Miete zu einem Drittel Eigentum.

Prof. Dr. Nicola Hilti referiert zu Wohnen und Älterwerden

Prof. Dr. Nicola Hilti in ihrem Referat «Wohnen und Älterwerden – Hintergründe und Denkanstösse». Bild: Careum Weiterbildung.

Besonders die Generation der Babyboomer steht dabei vor Herausforderungen: Viele von ihnen leben in grossen Häusern oder Wohnungen, die oft nicht mehr zu ihrem Lebensabschnitt passen. Dennoch verbleiben sie häufig in diesen Wohnformen, da passende Alternativen entweder fehlen oder zu teuer sind.

Weiter wies sie auf verschiedene Ansätze hin, wie Wohnräume für und mit älteren Menschen gestaltet werden können. Ein besonderes Augenmerk legte sie auf ein neues mögliches Berufsfeld, das sich der professionellen Gestaltung des Zusammenlebens widmet: sogenannte „Nachbarschaftsprofis“. Diese Fachkräfte wirken im Kontext von Siedlungen, Quartieren und Gemeinden und tragen dazu bei, das soziale Miteinander zu fördern. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Wohn- und Siedlungsassistenz in Horgen (ZH), bei der teilweise ein Fokus auf die Bedürfnisse älterer Menschen gelegt wird.

Nachbarschaftsprofis

Prof. Dr. Nicola Hilti stellte in ihrem Referat das neue mögliche Berufsfeld «Nachbarschaftsprofis» vor. Bild: Careum Weiterbildung.

Dreieinhalb Jahre Altersstrategie: Erfahrungen aus Zürich

Anschliessend gab Katharina Frischknecht, Projektleiterin Umsetzung Altersstrategie bei Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich, in ihrem Vortrag «Altersinstitutionen als Begegnungsorte im Quartier» Einblicke in dreieinhalb Jahre Umsetzungserfahrung in der Stadt Zürich. Sie zeigte auf, wie das Projekt gestaltet wurde, welche Akteure beteiligt sind, wo es derzeit steht und welche weiteren Schritte geplant sind.

Die Altersstrategie der Stadt Zürich legt besonderen Wert auf den Sozialraum Quartier. Neben einer guten Gesundheitsversorgung im Alter wird darauf abgezielt, Altersinstitutionen besser in die Quartiere zu integrieren und sie zu Begegnungsorten zu machen. Ein zentrales Ziel ist die stärkere Verankerung der städtischen Gesundheitszentren für das Alter (GFA) im Quartier, insbesondere durch die institutionalisierte und geregelte Zusammenarbeit mit der Stiftung für Alterswohnungen (SAW) an gemeinsamen Standorten.

Die Umsetzung des Projekts erfolgte schrittweise und umfasste verschiedene Befragungen und Beteiligungsprozesse. Dazu zählten Gespräche mit Akteur:innen und Stakeholdern im Quartier, eine gezielte Befragung der SAW-Mieter:innen sowie der Einbezug von Nachbarorganisationen wie Gemeinschaftszentren und Wohnbaugenossenschaften.

Dabei wurde unter anderem deutlich, dass die Zusammensetzung der Mieterschaft die Nutzung der Angebote beeinflusst. Hemmschwellen seitens der Mieter:innen wurden nicht genannt, jedoch zeigte sich, dass die bestehenden Angebote verstärkt bekannt gemacht und besser kommuniziert werden könnten.

Von kleinen Schritten zu grossen Wirkungen

Katharina Frischknecht nannte verschiedene Beispiele für erfolgreiche Initiativen:
• Regelmässige Austauschformate zwischen Akteuren im Quartier
• Monatlicher Mittagstisch SAW in den GFA-Restaurants
• Veranstaltungen wie der Tag der Nachbarschaft mit einer grossen Tavolata, Sommerfeste, Flohmärkte und ein Konzert am Muttertag

Das Projekt zeigt, dass es sinnvoll ist, im Kleinen zu beginnen und sich dann schrittweise auszudehnen. Eine Öffnung zum Quartier hin erfordert jedoch personelle Ressourcen, Zeit und Geduld. Die ersten Erfolge verdeutlichen, wie Altersinstitutionen zur Stärkung des sozialen Miteinanders im Quartier beitragen können.

Mobile Altersarbeit: Neue Ansätze für mehr Selbstbestimmung im Alter

Im dritten Referat «Mobile Altersarbeit – Neue Wege zur Unterstützung und Integration älterer Menschen in der Schweiz?» thematisierte Riccardo Pardini, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berner Fachhochschule, die Herausforderungen und Chancen der mobilen Altersarbeit. Er stellte fest, dass viele ältere Menschen von den klassischen Unterstützungsangeboten der Altersorganisationen nicht erreicht werden. Besonders die sogenannten «Komm-Strukturen», bei denen ältere Menschen selbst aktiv werden müssen, um Beratungsstellen, Anlaufstellen oder Quartiertreffpunkte aufzusuchen, sind oft nicht ausreichend wirksam.

Eine vielversprechende Alternative stellen die «Bring-Angebote» dar. Hierbei gehen Fachkräfte aktiv zu den Aufenthaltsorten älterer Menschen – wie Cafés, Parks oder Gemeinschaftszentren – und bieten dort Informationen oder Unterstützung an, wenn Bedarf besteht. Diese Form der aufsuchenden Altersarbeit sorgt dafür, dass ältere Menschen nicht selbst aktiv werden müssen, vor allem wenn sie nicht wissen, wo sie Hilfe anfordern können.

In der Schweiz gibt es bereits erste Initiativen, die auf diese mobile Altersarbeit setzen. Er erläuterte in seinem Vortrag Beispiele sowie deren Rahmenbedingungen, die auf kommunaler Ebene erforderlich sind, um eine solche aufsuchende Altersarbeit erfolgreich umzusetzen. Hierbei spielen eine enge Vernetzung der Akteure und die Schaffung von passenden Ressourcen eine zentrale Rolle.

Riccardo Pardini betonte, dass bei der mobilen Altersarbeit der Fokus auf der Stärkung der Selbstbestimmung im Alter liegt, um den älteren Menschen zu ermöglichen, langfristig im gewohnten Umfeld zu bleiben.

Mehrgenerationenwohnen: Chancen und Herausforderungen für soziale Teilhabe

Im Abschlussreferat von Lisa Birrer, Leiterin Siedlungsarbeit DOMUM Wohnbaugenossenschaft Wetzikon, wurde der gesellschaftliche Wandel und die damit verbundenen sozialen Veränderungen thematisiert, die unter anderem das Konzept des Mehrgenerationenwohnens stärker in den Fokus gerückt haben. Diese Wohnform gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sie das Potenzial bietet, das Ziel des «Ageing in place» zu unterstützen – ein möglichst langer, selbstbestimmter Verbleib zu Hause. Dies wird durch informelle Unterstützung, generationenübergreifende Kontakte und gemeinschaftliche Aktivitäten sowie durch die Förderung der sozialen Teilhabe ermöglicht.

In der DOMUM Wetzikon spielen die Siedlungscoaches eine zentrale Rolle bei der Förderung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Sie setzen konkrete Massnahmen, um Begegnungsmöglichkeiten zwischen Nachbar:innen zu schaffen und die Nachbarschaftshilfe zu aktivieren. Ein wichtiges Ziel ist es, die Mietenden zu ermutigen, selbst aktiv an der Gestaltung des gemeinschaftlichen Lebens teilzunehmen. Dies umfasst die Initiierung von Projekten und Veranstaltungen, die in enger Zusammenarbeit mit den Mietenden entstehen. Die Initiative muss unbedingt von den Bewohnenden kommen, sonst haben Feste und andere Gemeinschaftsaktivitäten keine gute Basis auf Dauer und würden mit dem Wegzug von entscheidenden Personen wieder verschwinden.

Weiter stehen die Siedlungscoaches als Ansprechpersonen bei persönlichen Anliegen zur Verfügung und vermitteln die Bewohner:innen bei Bedarf an lokale Akteure und Angebote. Diese Massnahmen tragen dazu bei, die soziale Vernetzung zu stärken und das Miteinander innerhalb der Siedlung zu fördern.

Anhand einer qualitativen Befragung und konkreter Praxisbeispiele beleuchtete sie neben den Chancen zudem die Herausforderungen, mit denen die Mehrgenerationensiedlung in Wetzikon bei der Förderung sozialer Teilhabe konfrontiert ist.

Podiumsdiskussion: Gemeinsame Reflexion und Impulse für die Zukunft

Den Abschluss des Nachmittags bildete eine lebendige Podiumsdiskussion, bei der die Referent:innen ihre Erkenntnisse weiter vertieften und das Publikum aktiv in den Austausch einbezogen wurde. Die rund 60 Teilnehmenden, darunter Fachpersonen aus den Bereichen Spitex, Gemeinde und Altersarbeit, nutzten die Gelegenheit, Fragen zu stellen und ihre eigenen Erfahrungen und Perspektiven einzubringen. Diese interaktive Diskussion trug dazu bei, die Themen des Nachmittags noch einmal aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und weitere Denkanstösse für die Praxis zu geben.

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