Care Farms

Mitten im Leben, geerdet und nie langweilig: Ein Landwirtschaftsbetrieb ist ein idealer Ort, um Menschen, die ihre Orientierung im Leben kurz- oder langfristig verloren haben, zu begleiten.

In Holland sind sie verbreitet, vernetzt und etabliert. In der Schweiz führen sie bis dato ein «Mauerblümchen-Dasein»: Die Care Farms.

Der Begriff Care Farming bezeichnet das Erbringen von sozialen Dienstleistungen in der Landwirtschaft. Konkret sind dies Betreuungs-, Pflege-, Erziehungs- und Bildungsleistungen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben gegen Bezahlung. Die Menschen, die es zu betreuen oder zu pflegen gilt, können von den Betreuenden dazu angeregt werden, ihren Fähigkeiten, Zielen und Wünschen entsprechend alltägliche Aktivitäten auf dem jeweiligen Betrieb nachzugehen (greencare.at, 2014). Bauernhöfe können so ein ideales Umfeld für eine Vielfalt sozialer Betreuungsdienstleitungen sein.

In Holland stieg die Zahl der «Care Farms» von 1998 bis 2014 von 75 auf beinahe 1100 Betriebe an (Hassink, 2015, S. 4). Anfangs standen Menschen mit Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen im Vordergrund. Seit 2005 wurden weitere Angebote für ältere und auch jüngere Menschen entwickelt.

Die Care Farmers begannen sich in Verbänden und auf Plattformen zu vernetzen. Sie erkannten, wie wichtig die Kontakte zur Politik sind. 1999 wurde in den Niederlanden ein nationales Unterstützungszentrum für Landwirtschaft und Pflegeleistungen geschaffen. Dieses hatte zum Ziel, die Entwicklung der «Care Farms» zu fördern. Aber auch die Entwicklung eines Qualitätssicherungssystem, die Einbettung der Verbindung von Landwirtschaft und Pflege in der Gesellschaft und Politik, der Erfahrungs- und Informationsaustausch sowie das Wissensmanagement wurden vorangetrieben. So entstanden immer mehr «Care Farms». Der Staat unterstützte die Betriebe bei ihrer pionierhaften Arbeit (Hassink, 2015, S.7).

Organisation heute

Heute wenden sich Angehörige oder Betroffene in Holland an eine Unterstützungsorganisation. Meist handelt es sich dabei um eine Stiftung. Diese vermittelt dann entsprechend den Bedürfnissen der interessierten Personen einen Betreuungsplatz auf einer «Care Farm». Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich an eine Pflegeinstitution zu wenden, die mit einer «Care Farm» zusammenarbeitet.

Die Pflegeleistungen werden aus Versicherungsgeldern und den sogenannten «Persönlichen Pflegebudgets» (PGB) finanziert.

Gemüse

Auf Care Farms zurück in eine Alltagsstruktur finden. Bild: pexels.com

Situation in der Schweiz

In der Schweiz gibt es viele Landwirtschaftsbetriebe, die Menschen aufnehmen, die auf Unterstützung angewiesen sind oder begleitet werden müssen. In einer Befragung der Netzwerkorganisationen von «Care Farms» konnten 550 Betriebe identifiziert werden, die solche Leistungen erbringen (Wydler, 2015). In der Schweiz gibt es rund 55 000 Landwirtschaftsbetriebe. 98% davon werden als Familienbetriebe geführt.

So finden Kinder in einer bäuerlichen Familie Pflegeeltern, ehemals suchtkranken Menschen gelingt mit Unterstützung der Care Farmers der Weg zurück in eine Alltagsstruktur und auch für ältere Menschen existieren Angebote. Jedoch sind Angebote für Tagesstrukturen noch immer selten. Leistungen müssen selber übernommen werden. Die Finanzierung von rehabilitativen oder präventiven Betreuungsleistungen ist schwierig.

Ein Betreuungsplatz kann von Privatpersonen direkt oder von Behörden angefragt und organisiert werden. Eine Platzierung erfolgt häufig in Zusammenarbeit mit den unterstützenden Netzwerkorganisationen.

Zusammenfassend lässt sich über die Situation von Care Farming in der Schweiz sagen, dass soziale Dienstleistungen in der Schweizer Landwirtschaft ein kleines strukturiertes, aber dichtes Aktivitätsfeld darstellen. Statistisch sind Betreuungsleistungen auf Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz noch kaum erfasst (Wyder, 2015, S. 23).

Herausforderungen

Die Herausforderung für «Care Farming» in der Schweiz ist, dass die potenziellen Zielgruppen nicht genügend über die bestehenden Angebote informiert sind. Aber auch, dass betreuende Familien unter dem hohen Zeitaufwand und der teils doch intensiven Betreuung leiden. Die grossen kantonalen Unterschiede, die Bürokratie und die Finanzierung der Leistungen dürften ebenfalls für angehende Care Farmerinnen und Care Farmer eine gewisse Hürde darstellen (Wydler, 2015, S. 25).

In einer Systemanalyse der Züricher Fachhochschule (ZHAW) über die Situation von «Care Farming» in der Schweiz halten die Autoren und Autorinnen im Schlussbericht fest, dass es sich bei «Care Farming» in der Schweiz um eine Nischenaktivität handelt. Unabhängig von wissenschaftlichen Nachweisen sind diese Leistungen gefragt. Viele Fachpersonen sind überzeugt von der positiven Wirkung auf Betroffene (Wydler, Stohler, Christ, Bombach, 2013, S. 96).

Care Farms: Wichtig für unser Gesundheitswesen

In der Schweiz leben aktuell ungefähr 154 700 Menschen mit Demenz. Jedes Jahr erkranken 29 500 Personen neu an der gefürchteten Krankheit. Davon sind über 7400 Menschen unter 65 Jahre alt, also noch beruflich aktiv. Pro erkrankte Person sind ein bis drei Angehörige mit betroffen. Fachleute rechnen damit, dass bis 2040 die Zahl der Betroffenen auf 300 000 ansteigt (alzheimer-schweiz.ch).

Stationäre Aufenthalte sind längerfristig schwierig zu finanzieren. Der Wunsch, möglichst lange im eigenen Zuhause zu bleiben, ist gross. Die Angehörigen, die eine an Demenz erkrankte Person begleiten, sind stark gefordert. Sie benötigen Entlastung, damit sie längerfristig selber gesund bleiben.

Neue, finanzierbare Alternativen zu den heutigen Angeboten sind also gefragt.

Was sagt die Theorie?

Care Farms weisen vier wichtige Merkmale auf, die sich positiv auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen auswirken. Studien zeigen, dass der alltagsähnliche Kontext positive Prozesse im Bereich der Gesundheit, des Wohlbefindens und der Integration auslöst.

In Studien konnten signifikant positivere Ergebnisse aufgezeigt werden. So ist zum Beispiel das Essverhalten bei älteren Menschen mit Demenz, die auf einer Care Farm leben besser, als bei demenzkranken Personen, welche in einer stationären Pflegeeinrichtung leben (de Boer, Verbeek, Zwakhalen, Hamers, 2019).

Paar

Das Essverhalten demenzkranker Menschen ist auf einer Care Farm besser. Bild: pexels.com

Abschliessend möchte ich festhalten, dass der Gedanke der Care Farms nicht ganz neu ist. Sind doch Landwirtschaftsbetriebe traditionell Familienbetriebe: Die Eltern ziehen ins Stöckli bis sie Ur- oder Ururgrosseltern sind und vielleicht als an Demenz erkrankte Menschen im bäuerlichen Familienbetrieb ihren Platz gefunden haben.

*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.

Literatur

Demenz in der Schweiz (2019). Zahlen und Fakten. Zugriff am 19.6.2020. Hier verfügbar

Care Farming. Die Plattform für naturgestützte Interaktion und Bildung (2020). Zugriff am 19.6.2020. Hier verfügbar

Care Farming. Zukunft für Bauernfamilien (2020). Zugriff am 19.6.2020. Hier verfügbar

De Beoer, B., Verbeek, H., Zwakhalen, S. M. G., & Hamers, J. P. H. (2019). Experiences of family caregiers in green care farms and ohter nursing home enviroments for people with demetia: A qualitative study. MC Geratrics, 19(1), 149. Zugriff am 19.6.2020. Abstract

Green care. Die Fachzeitschrift für naturgestützte Interaktion. Sonderheft Care Farming in der Schweiz (2015). Zugriff am 19.6.2020. PDF

Wydler, H., Stohler, R., Christ, Y., Bombach, C. (2013). Care Farming – eine Systemanalyse. Zugriff am 19.6.2020. PDF

Diskutieren Sie mit!

  • Viele Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz kämpfen ums Überleben. Wie könnte eine Zusammenarbeit mit Institutionen aussehen, die sich um Menschen kümmern, die Hilfe und Betreuung brauchen?
  • Wenn in Zukunft immer mehr demenzkranke Menschen auf einem Bauernhof mithelfen können, was gibt es für Möglichkeiten, den Aufenthalt zu gestalten?
  • Welche Erfahrung haben Sie als Betriebsleiterin oder Betriebsleiter gemacht mit demenzkranken Menschen?

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