
Fachkräftemangel, steigende Kosten, ungedeckter Versorgungsbedarf – das Schweizer Gesundheitssystem steht vor grossen Herausforderungen. Die Erkenntnisse aus einer Veranstaltung mit Expert:innen zeigen, dass Reformen auf zwei Ebenen nötig sind: kurzfristig durch die konsequente Umsetzung vorhandener Gesetze, langfristig durch eine Teilrevision der Bundesverfassung und die Einführung eines Bundesgesetzes über die Gesundheit.
Die Careum Impuls-Veranstaltung 2025 brachte rund 40 ausgewählte Entscheidungstrager:innen aus Politik, Wirtschaft, Bildungs- und Gesundheitswesen sowie eine Vertreterin einer Patientenorganisation im Careum Auditorium zusammen, um über mögliche Reformen im Gesundheitssystem zu diskutieren. Basierend auf einem Bericht der Unisanté, der im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) erstellt wurde, erfolgten engagierte Diskussionsrunden.
Eine zentrale Frage war dabei, ob ein verfassungsrechtlich verankertes Bundesgesetz über die Gesundheit langfristig die strukturellen Probleme des Schweizer Gesundheitssystems lösen könnte.

Stimmen von Teilnehmenden
Erfahren Sie im Video, was Teilnehmende aus der Careum Impuls-Veranstaltung mitnehmen.
Herausforderungen bei der Erarbeitung und Umsetzung eines Bundesgesetzes
Die Diskussion ergab, dass es an einem grundlegenden, gemeinsamen Gesundheitsverständnis fehlt. Unklare Ziele, fehlender Handlungsdruck bei einzelnen Akteuren und Handlungsgruppen wie auch die Sorge vor einer höheren Regulierungsdichte wurden als weitere Hindernisse genannt.
Die Umsetzung eines Bundesgesetzes sei zudem mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden – insbesondere, weil eine Teilrevision der Verfassung erforderlich wäre. Laut den Teilnehmenden erschweren politische Widerstände und eine kurzfristige Erfolgsorientierung langfristige Reformen zusätzlich.
Bundesgesetz als Chance: Klarere Kompetenzen und mehr Innovation
Trotz dieser Bedenken betonten die Teilnehmenden auch die möglichen Vorteile eines solchen Gesetzes. So könnte ein Bundesgesetz über die Gesundheit zur Klärung der Kompetenzen beitragen, indem die Rollen von Bund und Kantonen klarer definiert wären. Gleichzeitig würde ein einheitlicher Rahmen ausreichend Flexibilität ermöglichen, um regionale Anpassungen und kantonale Lösungen zu berücksichtigen.
Darüber hinaus könnte ein solches Gesetz die Innovationsförderung vorantreiben, insbesondere im Bereich der Digitalisierung und der Prävention. Nicht zuletzt bestünde die Chance, das derzeit komplexe Zusammenspiel verschiedener Gesetze zu vereinfachen und so eine harmonisierte Rechtsgrundlage zu schaffen.
Kombinationstherapie für Reformen: Kurzfristige und langfristige Lösungen
Anstatt sich ausschliesslich auf ein Bundesgesetz zu fokussieren, bestand unter den Teilnehmenden weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit einer «Kombinationstherapie»: Einerseits sollten bestehende Gesetze konsequenter genutzt werden, um kurzfristige Verbesserungen zu erreichen. Andererseits müsse langfristig ein verfassungsrechtlich verankertes Bundesgesetz über die Gesundheit weiter vorangetrieben werden, um die nötigen, tiefergreifenden Reformen zu ermöglichen.
Partizipation stärken: Gesundheit gemeinsam gestalten
Die aktive Einbindung der Bevölkerung und relevanter Akteure wurde als zentraler Erfolgsfaktor für nachhaltige Reformen im Gesundheitssystem identifiziert. Um Akzeptanz und Mitgestaltung zu fördern, wurden verschiedene Ansätze diskutiert.
So könnten die Bedürfnisse der Bevölkerung etwa durch Volksinitiativen, regionale Bürger:innenräte und gezielte Kommunikationskampagnen sichtbar gemacht werden. Hervorgehoben wurde dabei, dass sich der Fokus weg vom Defizit- hin zum Hoffnungsnarrativ orientieren müsse, um eine positive Grundstimmung und Motivation zur Veränderung breiter zu verankern. Denn nur durch den aktiven, engagierten Austausch aller Interessensgruppen könnten praxisnahe und umsetzbare Lösungen geschaffen werden.
Empfehlungen für die Zukunft des Schweizer Gesundheitssystems
Die Careum Impuls-Veranstaltung machte deutlich: Das Schweizer Gesundheitssystem braucht Veränderungen. Ein Bundesgesetz über die Gesundheit könnte eine ganzheitliche, langfristige Lösung sein, bei der gleichzeitig Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden.
Entscheidend scheint jedoch ein pragmatischer Ansatz im Sinne einer «Kombinationstherapie» zu sein. Einerseits sollten bestehende gesetzliche Möglichkeiten genutzt werden, um schnell auf akute Herausforderungen zu reagieren. Andererseits gilt es, durch die Schaffung einer gemeinsamen Vision und einer verfassungsrechtlichen Verankerung von Gesundheit tiefergreifende Veränderungen voranzutreiben, um das Schweizer Gesundheitssystem langfristig nachhaltiger zu gestalten.
Fit für die Gesundheitswelt: Gemeinsam für ein nachhaltiges Gesundheitssystem
Der Wandel hin zu einem nachhaltigen Gesundheitssystem gelingt nur gemeinsam. Im Sinne der Vision «Fit für die Gesundheitswelt» setzt sich Careum mit Begeisterung, Wissen und Erfahrung aktiv für diesen Wandel ein. Die globalen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, verdeutlichen, dass Gesundheit ganzheitlich und über Sektorgrenzen hinaus gedacht werden muss. Dies erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit aller Akteure, den Mut, neue Wege zu gehen, und die Bereitschaft, aus Worten Taten sprechen zu lassen.
Ergebnisbericht: Alle Erkenntnisse auf einen Blick
Haben wir Ihre Neugierde geweckt? Die vollständigen Erkenntnisse der Careum Impuls-Veranstaltung finden Sie in unserem Ergebnisbericht auf Deutsch und auf Französisch:
Weiterführende Dokumente
- Bericht der Unisanté Lausanne: Analyse der Steuerung des Schweizer Gesundheitssystems und Vorschlag eines Bundesgesetzes über die Gesundheit
- Unser kompaktes Factsheet mit den wichtigsten Inhalten des Berichts der Unisanté Lausanne
- Informationen zur Entwicklung des Gesundheitssystems, zum Bericht der Unisanté Lausanne und zur Stellungnahme der SAMW für ein Bundesgesetz über die Gesundheit
- SAMW-Bulletin zu einem Verfassungsartikel und Bundesgesetz über die Gesundheit
Diskutieren Sie mit!
- Was halten Sie von einem Bundesgesetz über die Gesundheit?
- Haben Sie eigene Ideen, wie Reformen im Gesundheitswesen erfolgreich vorangetrieben werden können?
- Welche konkreten Reformen sollten Ihrer Ansicht nach sofort angegangen werden, um das Gesundheitssystem zu verbessern?
Kommentare
Bruno Facci
13.02.2025Die Idee gefällt mir sehr, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Dass sie als Kombinationstherapie bezeichnet wird, ist etwas onderbar und hat wohl mit einer Art déformation professionell zu tun. Das ist egal.
Entscheidend ist und bleibt, ob diese Idee von allen Verbänden, die Gesundheitspersonal aller Berufsgattungen vertreten und die grösseren Kantone dahinterstehen.
Im Ergebnisbericht Careum-Impuls 2025 heisst es: «In der Schweiz seien sowohl grössere Kantone als auch Verbände der Ärzteschaft treibende Kräfte, die zum Erfolg von Reformen im Gesundheitssystem beitragen.» Diese Aussage irritiert mich, weil alle anderen Verbände ausgeklammert sind. Da kommt mir doch etwas zu viel vom immer noch vorhandenen Standesdünkel der Ärzteschaft entgegen gegenüber andern Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Wenn der One-Health-Ansatz umgesetzt werden soll, muss es damit ein Ende haben.
Mich würde zudem brennend interessieren, wer die Teilnehmer:innen und Teilnehmer dieser Careum Impuls-Veranstaltung waren. Meiner Meinung nach sollten diese öffentlich bekannt sein, damit man weiss, wer hinter dieser Idee steht und man sie beim Wort nehmen kann, wenn es gilt, die Ideen in die Tat umzusetzen. So heisst es doch: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Julia Amann
14.02.2025Vielen Dank für Ihr Feedback, Herr Facci. Es freut uns sehr, dass unser Ergebnisbericht über die Veranstaltung hinaus den weiteren Dialog zu diesem wichtigen Thema fördert und zum Nachdenken anregt.
Ihr Hinweis, dass die Kombination der Ansätze nicht zwingend als «Kombinationstherapie» bezeichnet werden müsste, ist nachvollziehbar. Es handelt sich dabei um ein wörtliches Zitat aus der Veranstaltung, welches in den Diskussionen mehrfach aufgegriffen wurde, stets im Sinne, wie von Ihnen richtig interpretiert, «Das eine tun und das andere nicht lassen.» Ziel der Titelwahl war es natürlich auch zum Lesen zu animieren und Neugier zu wecken.
Es ist wichtig zu bedenken, dass der Bericht die Diskussion und Schwerpunkte der Veranstaltung wieder gibt und daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Dass vor allem die Rolle der Ärzteschaft und der grösseren Kantone betont wurde, spiegelt die Diskussion während des Anlasses wider. Das bedeutet jedoch nicht, dass andere Berufsgruppen und Verbände nicht ebenfalls von zentraler Bedeutung sind. Ihr Punkt zur interprofessionellen Zusammenarbeit ist hierbei essenziell – gerade im Sinne eines One-Health-Ansatzes, wie auch im Bericht so explizit erwähnt.
Ich kann auch Ihr Interesse und Ihren Wunsch nach Transparenz gut nachvollziehen. Einige der Teilnehmenden sind im Video zur Veranstaltung (siehe oben) zu sehen. Eine vollständige Teilnehmendenliste können wir allerdings aus Datenschutzgründen so nicht veröffentlichen. Wir werden diese Überlegungen für zukünftige Veranstaltungen gerne berücksichtigen und danken Ihnen für Ihr Verständnis.
Mark Ludwig
24.02.2025Das Thema der Diskussion erachte ich als sehr sinnvoll und die Initiative dazu verdient Anerkennung.
Allerdings teile die Meinung von Bruno Facci, dass Transparenz über die Teilnehmenden der Diskussion Voraussetzung wäre für die Beurteilung der Ergebnisse und eine sinnvolle Fortsetzung der Diskussion mit den Teilnehmern. So entsteht der ungute Eindruck, dass der gleiche geschlossene Kreis von Interessenvertretern diskutiert hat, der bereits für den heutigen Zustand des Gesundheitswesens Verantwortung trägt.
Die Teilnehmenden wurden eingeladen und sind demzufolge namentlich bekannt. Falls sich nicht alle zu den Aussagen des Berichts bekennen mögen, lässt sich auch dies ohne weiteres darstellen. Die Datenschutzgründe wirken deshalb vorgeschoben.
Julia Amann
26.02.2025Vielen Dank für Ihr Interesse am Bericht und Ihre Wertschätzung der Initiative, Herr Ludwig. Transparenz ist zweifellos ein wichtiger Aspekt in jeder Debatte. Dennoch können wir, wie bereits erwähnt, aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Informationen zu einzelnen Teilnehmenden herausgeben.
Die Ergebnisse stehen allen offen zur Verfügung und sollen zur weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung einladen. Die inhaltliche Qualität der Ergebnisse ist unabhängig von der Veröffentlichung einzelner Namen nachvollziehbar und bewertbar. Falls es Aspekte gibt, die Ihrer Ansicht nach im Bericht zu kurz kommen, oder anders interpretiert werden könnten, freuen wir uns sehr über konkrete Hinweise, um diese in unsere weiteren Überlegungen mit aufnehmen zu können.
Wir hoffen, dass die Diskussion auf dieser Basis weitergeführt werden kann, und stehen für den fachlichen Austausch jederzeit gerne zur Verfügung.