Pflegenotstand: Wie weiter?
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Immer wieder lesen, hören oder sehen wir in den Medien, dass es in der Schweiz einen Mangel an Pflegepersonal gibt, der sich bei ausbleibenden Massnahmen zu einem Pflegenotstand entwickeln kann. Wer wird uns in Zukunft pflegen?
Ich arbeite als diplomierte Pflegefachfrau HF auf einer medizinischen Bettenstation und begleite täglich Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit oder Studierende Pflege HF und FH auf ihrem Ausbildungsweg. Oft höre ich von den Schülerinnen und Schülern, dass sie nach der Ausbildung nicht mehr in der Pflege arbeiten wollen. Sie empfinden den Berufsalltag als stressig.
Dies zu hören ist erschreckend. Die Bevölkerung wird immer älter, junge Pflegefachkräfte steigen aus. Da stellt sich schon die Frage: Wer pflegt uns zukünftig?
Aktuell zeigt sich gerade in der Corona-Pandemie, dass viele Pflegekräfte in der zweiten Welle stark überlastet sind. In den Spitälern steigt die Zahl der schwer kranken Covid-Patientinnen und -Patienten und der Druck auf die Pflegenden wächst. Viele Pflegekräfte sind noch von der ersten Welle erschöpft – und teilweise auch frustriert, da ihre Not ignoriert wird. Und es wird offensichtlich: Nicht nur fehlende Intensivbetten sind ein Problem, sondern auch Pflegekräfte, die krankheitsbedingt ausfallen.
Stress als Hauptfaktor für den Berufswechsel
Stress im Pflegeberuf wird je länger je mehr zu einem gesellschaftlichen Thema. Als Stress wird eine kurzfristige Folge von psychischer Beanspruchung bezeichnet. Er zeigt sich vor allem als Ermüdungserscheinung und dem Gefühl «im Stress zu sein». Kommt es zu einer langfristigen Beeinträchtigung, spricht man von einer psychosomatischen Störung, wie beispielsweise dem Burnout. (Wippert & Beckmann, 2009, S.68).
Laut einer Studie («Stress bei Schweizer Erwerbstätigen») des Staatssekretariats für Wirtschaft wird deutlich, dass 33 % aus dem Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialwesen das Gefühl haben, bei der Arbeit verbraucht zu sein. Im sozialen Bereich sind es 25 %.
Eine Studie, die in einer Langzeitpflegeinstitution durchgeführt wurde, zeigt, dass bereits bei einem Beschäftigungsgrad von 60 % ein Viertel der Pflegenden Merkmale von emotionaler und körperlicher Belastung aufweisen.
In einer internationalen Studie zeigte sich, dass zwischen 18.5 % und 36 % der Pflegenden häufig daran dachten, aus dem Pflegeberuf auszusteigen (Pfeifer, 2012, S. 26).
Anhand der Studien ist zudem festzustellen, dass die Arbeitsbedingungen für den Pflegeberuf immer schlechter werden.
Es werden auch andere Faktoren genannt, die für den Stress im Pflegeberuf verantwortlich sind, wie Zeitdruck, Schichtarbeit, Emotionsarbeit und organisatorische Probleme. Bei dem bereits bestehenden, massiven Pflegepersonalmangel verstärkt sich die Arbeitsunzufriedenheit der Mitarbeitenden des Gesundheitssystems enorm. Dies führt zu psychischen Belastungen der Pflegenden.
Bundesrat lehnt Pflegeinitiative ab
Es gilt zu handeln, bevor es zu spät ist. Trotzdem wurde am 9. März 2018 die Pflegeinitiative vom Bundesrat abgelehnt, da eine direkte Abrechnung von Pflegeleistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ohne koordinierende Massnahmen zu einer Mengenausweitung und damit zu unerwünschten Kostenentwicklungen im Gesundheitswesen führen dürfte.
Der Schweizer Bundesverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK, 2018) war vor den Kopf gestossen. Die Zahlen zeigen: Der Fachkräftemangel ist massiv, 11’000 Stellen sind im Pflegebereich in der Schweiz nicht besetzt. Laut SBK fehlen 6500 diplomierte Pflegepersonen.
Mit der Ablehnung gab der Bundesrat Massnahmen in Auftrag, dem massiven Mangel an Fachpersonal im Pflegebereich zu begegnen, da die bisherigen Massnahmen einen ungenügenden Nutzen gebracht hätten.
Die Ausbildungsquote ist im Bildungsbereich der dringend benötigten, diplomierten Pflegefachpersonen stark rückläufig. So verlassen viele Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit (FaGe) das Gesundheitswesen bereits nach fünf Jahren.
Die Patientensicherheit muss aber in Zukunft gewährleistet bleiben. Insbesondere in Anbetracht der steten Zunahme an Multi- und Ko-Morbiditäten ist dies eine zusätzliche Herausforderung in der immer komplexer werdenden Pflegesituation.
*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.
Literatur
FHS St.Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Stress im Pflegeberuf. Hier verfügbar
Grebner, S. et al. (2010). Stress bei Schweizer Erwerbstätigen. Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit. Bern: Staatssekretariat für Wirtschaft. PDF
Pfeifer, S. (2012). Stress und Burnout verstehen und bewältigen. Psychiatrie & Seelsorge Seminarheft. PDF
SBK – ASI. (2018). Bundesrat negiert Pflegenotstand. Infos hier
SBK – ASI. (2018). Pflegeinitiative: Die Arbeit geht weiter. Infos hier
Schraner, T. (2018). Jede fünfte Pflegeperson an Zürcher Spitälern denkt über einen Berufsausstieg nach. Limmattaler Zeitung, Online-Artikel, 20.11.2018. Artikel hier verfügbar
Wiget, Y. (2017). Warum der Pflegenotstand droht. Tagesanzeiger, Online-Artikel, 18.01.2017. Artikel hier verfügbar
Wippert, P.-M. & Beckmann, J. (2009). Schmerz und Schmerzursachen verstehen. Gesundheitspsychologie und –soziologie in Prävention und Rehabilitation. Stuttgart: Thieme. Abstract
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Kommentare
Naima
22.11.2022Es könnten Jobs mit festen Schichten angeboten werden. Das scheint unmöglich, aber in der Praxis wird es in vielen Gesundheitseinrichtungen gemacht. Manche Menschen wollen nur nachts arbeiten, andere bevorzugen Zwischenschichten und wieder andere arbeiten gerne morgens. In vielen Krankenhäusern und Kliniken haben Mitarbeiter, die schon seit vielen Jahren in der Einrichtung arbeiten, das Privileg, zu den Zeiten zu arbeiten, die ihnen am besten passen. Meiner Meinung nach sollte dies kein Privileg, sondern ein Recht sein. Das Hauptargument einiger Institutionen ist, dass der Arbeitnehmer auf diese Weise die Gewohnheit verliert, Dinge zu tun, die nichts mit den Aufgaben zu tun haben, die er während seiner regulären Schicht ausführt. Dieses Problem liesse sich jedoch leicht lösen, wenn der Arbeitnehmer sich verpflichten würde, ein- oder zweimal im Jahr zu vorher festgelegten Terminen andere Schichten zu übernehmen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass regelmäßige Arbeitszeiten zur körperlichen und geistigen Gesundheit der Beschäftigten beitragen.