Delir Management und Behandlung

Nach Operationen können akute Verwirrtheitszustände oder Wahrnehmungsveränderungen auftreten. Betroffene leiden dann unter einem sogenannten Delir – mit teils schwerwiegenden Folgen. Wie werden Leitlinien zur Delirbehandlung in der Praxis umgesetzt?

Delir, beziehungsweise die akute Verwirrtheit, ist eine neurologische Komplikation, die während eines Spitalaufenthalts oder nach Operationen entstehen kann.

Die verminderte kognitive Leistung führt zu einer massiven Verschlechterung des Krankheitsverlaufs. In gravierenden Fällen führt sie sogar zum Tod der betroffenen Patientin oder des betroffenen Patienten.

Deshalb braucht es ein PAD-Management: Leitlinien zum Management von Schmerz (englisch: Pain), Agitation und Delir.

In den letzten Jahren wurden mehrere Leitlinien zur Delirbehandlung entworfen. Obwohl sich die verschiedenen Konzepte in aktuellen Studien bewährt haben, scheint die Umsetzung eher lückenhaft zu sein.

Delir

Erfolgreiches PAD-Management: Erfassung von Schmerz, Agitation und Delir. Illustration: zvg

Die Häufigkeit, im Behandlungsverlauf ein Delir auf einer Intensivstation zu entwickeln, liegt zwischen 30 bis 80 Prozent (Mehta, 2005). Diese kognitive Komplikation stellt für das Behandlungsteam eine enorme Herausforderung dar.

Delir ist die Ursache für eine verlängerte Aufenthaltsdauer sowie verlängerte Beatmungszeit und verschlechtert den Behandlungserfolg des Betroffenen (Thomason u.a., 2005).

Der Handlungsbedarf wurde erkannt. Es entstanden mehrere internationale Leitlinien mit Evidenznachweisen und Empfehlungen im Rahmen der Best Practices.

Wie werden die Richtlinien in der Praxis umgesetzt?

Eine Studie von Miller aus dem Jahr 2015 zeigte eine ungenügende Umsetzung der einzelnen Komponenten des Massnahmenbündels. Beispielsweise berichteten nur 12 % der Befragten, routinemässige Aufwachversuche mit Delirbewertung sowie eine Frühmobilisation durchgeführt zu haben (Miller, Govindan, Watson, Hyzy, & Iwashyna, 2015).

Medikamente werden in der Regel angewandt, um invasive Verfahren oder andere Interventionen auf der Intensivstation zu erleichtern. Noch herrschen aber viele falsche Vorstellungen über eine eine angemessene Behandlung der schwerkranken Patientinnen und Patienten (Gemäss Peitz, Balas, Olsen et al., 2013).

Die Top 10 der Mythen in Bezug auf Sedierung und Delir auf der Intensivstation

  1. Alle beatmeten Intensivpatientinnen und -patienten benötigen Sedativa.
  2. Die Versorgung tief sedierter Intensivpatientinnen und -patienten ist einfacher.
  3. Nur chirurgische Intensivpatientinnen und -patienten erleben Schmerzen.
  4. Sedativa unterstützen den Schlaf.
  5. Das Delir ist ein gutartiger und zu erwartender Nebeneffekt.
  6. Delir Assessments sind konsistent und einheitlich.
  7. Alle Intensivpatientinnen und -patienten ähneln sich und können medikamentös gut behandelt werden.
  8. Tägliche Sedierungspausen sind gefährlich.
  9. Sedativa und Analgetika kumulieren bei längerer Anwendung nicht.
  10. Tiefe Sedierung führt zu besseren psychologischen Outcomes.

(Gemäss Peitz, Balas, Olsen et al., 2013)

In einer weltweiten Online-Umfrage gaben 57 % der Befragten an, das Massnahmenbündel implementiert zu haben. Jedoch variierten die Zahlen je nach Region stark. Lediglich 47 % benutzten zur Delirerfassung einen validierten Assessmentscore (Morandi u. a., 2017). Ein Assessmentscore ist ein Instrument zur Datenerhebung (Messung). Unter dem Begriff valide versteht man hier, dass gemessen wird, was gemessen werden soll.

Die unvollständige und inkonsistente Umsetzung von Richtlinien und die Heterogenität der Pflege scheint ein universelles Problem zu sein.

Hermes u. a., 2018

Die Studienlage deutet darauf hin, dass eine erhebliche Anzahl von Patientinnen und Patienten nicht mit den neuesten Richtlinien behandelt werden (Hermes u. a., 2018). Erschreckend erscheint die Vernachlässigung einer adäquaten Schmerztherapie auf Intensivstationen (Sneyers, Laterre, Perreault, Wouters, & Spinewine, 2014).

Die Anwendung validierter Assessments verläuft oft variabel bis sporadisch. Fehlende Sedierungskonzepte führen auch heute noch dazu, dass viele Intensivpatienten zu tief sediert sind (TEAM Study Investigators u. a., 2015).

Die Umsetzung der ICU-Richtlinien bleibt suboptimal.

Hermes u. a., 2018

Umdenken ist nötig

Eine erfolgreiche Delirbehandlung erfodert ein Umdenken aller beteiligten Fachdisziplinen. Die ESA-Guideline der European Society of Anästhesiology stellt den neurologischen Behandlungserfolg während und nach einer Operation erstmalig in den Fokus und nimmt alle Teilnehmenden in die Pflicht, ihren Beitrag zu leisten.

In einem Team von Gleichgestellten kann die medizinische Versorgung schwerkranker Patientinnen und Patienten verbessert werden. Der multidisziplinäre Ansatz steigert die Arbeitszufriedenheit und verbessert die Kommunikation im Behandlungsteam (Hermes u. a., 2018).

Teamarbeit

Eine erfolgreiche Delirbehandlung besteht aus Teamarbeit. Bild: pixabay.com

Externe Ressourcen können einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn sie in die Behandlung miteinbezogen werden. Die Physiotherapie könnte das Mobilisationskonzept umsetzen.

Eine Stationsapothekerin oder ein Stationsapotheker optimiert die medikamentöse Versorgung und erkennt Medikamente, die ein Delir verschlimmern oder auslösen (Klopotowska u. a., 2010); (TEAM Study Investigators u. a., 2015).

Angehörige nicht vergessen!

Angehörie stellen eine wichtige Ressource dar und sollten soweit wie möglich in die Behandlung und den Informationsprozess miteinbezogen werden. Eine klare Empfehlung aufgrund der schwachen Evidenz ist in der Literatur nicht zu finden.

Jedoch deuten aktuelle Studien im Bereich der Delirprävention auf eine Verbesserung der Situation hin (Rosa u. a., 2017). Zudem verweisen Fachexpertinnen und Fachexperten immer wieder auf die Bedeutung der Rolle von Angehörigen.

Die verstärkte familiäre Einbindung ist zum Beispiel im ABCDEF Family Bundle und in dem Konzept der familienzentrierten Pflege verankert. Das ABCDEF-Bündel ist ein Konzept zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Delir.

Einen Anfang machen!

10 Tipps für eine bessere Intensivbehandlung

  1. Verstärkte Einbindung der Angehörigen – Verlängerung der Besuchszeiten
  2. Konsequenter Einsatz von Hilfsmitteln (Brille, Hörgerät usw.)
  3. Lange nächtliche Ruhephasen für Patientinnen und Patienten
  4. Verringern der Monitoralarme
  5. Keine lärmintensive Arbeitsabläufe in der direkter Patientenumgebung
  6. Ohrstöpsel und Schlafmasken nutzen
  7. Patientinnen und Patienten Tageslicht gönnen
  8. Konsequente, möglichst aktive Frühmobilisation
  9. Vermeidung von Benzodiazepinen
  10. Delir therapieren, wenn es auftritt

(Falthauser, o. J.)

Es gibt noch viel zu tun

Die Belastung für das medizinische Personal und die betroffenen Personen ist hoch. Die aktuellen Richtlinien können zu einer Verbesserung der Situation für alle Beteiligten führen. Die Umsetzung liegt trotz der erbrachten Evidenz nach wie vor weit hinter den Erwartungen.

Etablierte Ansichten und Methoden sind offensichtlich stark verankert. Aktuelle Studien verweisen auf einen nötigen internen Fortbildungsprozess und den Beizug von Fachexpertinnen und Fachexperten. Die ganzheitliche Umsetzung des PAD-Management ist von enormer Wichtigkeit und fordert weitere Anstrengungen. Wichtig sind kleine Schritte. Und jeder ist gefordert.

*Dieser Beitrag entstand im Kurs «Schreibkompetenz» während des Studiums zum Bachelor of Science FH in Nursing an der Careum Hochschule Gesundheit. Die Teilnehmenden wählten ein Thema, mit dem sie in der Regel in ihrem Berufsalltag in Berührung kommen. Die besten Beiträge wurden ausgewählt und für den Blog überarbeitet.

Weiterführender Link

Der PAD-Manager: Website mit aktuellen Themen rund ums PAD-Management.

Literatur

Falthauser, A. (o. J.). Aller Anfang ist leicht: 10 Tipps für eine bessere Intensivmedizin 10. Zugriff am 5. Mai 2019. Hier verfügbar

Hermes, C., Acevedo-Nuevo, M., Berry, A., Kjellgren, T., Negro, A., & Massarotto, P. (2018, September 06). Gaps in pain, agitation and delirium management in intensive care: Outputs from a nurse workshop. Online lesen

Klopotowska, J. E., Kuiper, R., van Kan, H. J., de Pont, A. C., Dijkgraaf, M. G., Lie-A-Huen, L., Vroom, M. B., & Smorenburg, S. M. (2010). On-ward participation of a hospital pharmacist in a Dutch intensive care unit reduces prescribing errors and related patient harm: an intervention study. Critical care (London, England), 14(5), R174. Online lesen

Mehta, S., Cook, D., Devlin, J. W., Skrobik, Y., Meade, M., Fergusson, D., … Canadian Critical Care Trials Group. (2015). Prevalence, risk factors, and outcomes of delirium in mechanically ventilated adults. Critical Care Medicine, 43(3), 557–566. Abstract

Miller, M. A., Govindan, S., Watson, S. R., Hyzy, R. C., & Iwashyna, T. J. (2015). ABCDE, but in that order? A cross-sectional survey of Michigan intensive care unit sedation, delirium, and early mobility practices. Annals of the American Thoracic Society, 12(7), 1066–1071. Online lesen

Morandi, A., Piva, S., Ely, E. W., Myatra, S. N., Salluh, J. I. F., Amare, D., … Latronico, N. (2017). Worldwide Survey of the „Assessing Pain, Both Spontaneous Awakening and Breathing Trials, Choice of Drugs, Delirium Monitoring/Management, Early Exercise/Mobility, and Family Empowerment“ (ABCDEF) Bundle. Critical Care Medicine, 45(11). Online lesen

Rosa, R. G., Tonietto, T. F., da Silva, D. B., Gutierres, F. A., Ascoli, A. M., Madeira, L. C., … ICU Visits Study Group Investigators. (2017). Effectiveness and Safety of an Extended ICU Visitation Model for Delirium Prevention: A Before and After Study. Critical Care Medicine, 45(10). Abstract

Sneyers, B., Laterre, P.-F., Perreault, M. M., Wouters, D., & Spinewine, A. (2014). Current practices and barriers impairing physicians’ and nurses’ adherence to analgo-sedation recommendations in the intensive care unit – a national survey. Critical Care, 18(6). Online lesen

TEAM Study Investigators, Hodgson, C., Bellomo, R., Berney, S., Bailey, M., Buhr, H., … Webb, S. (2015). Early mobilization and recovery in mechanically ventilated patients in the ICU: a bi-national, multi-centre, prospective cohort study. Critical Care (London, England), 19, 81. Online lesen

Thomason, J. W. W., Shintani, A., Peterson, J. F., Pun, B. T., Jackson, J. C., & Ely, E. W. (2005). Intensive care unit delirium is an independent predictor of longer hospital stay: a prospective analysis of 261 non-ventilated patients. Critical Care (London, England), 9(4), R375-381. Online lesen

Diskutieren Sie mit!

  • Besteht auf Ihrer Intensivstation ein Konzept zur Delirbehandlung?
  • Beinhaltet dieses Konzept die wichtigsten Elemente des PAD-Managements?
  • Sind Sie im Implementierungsprozess einbezogen?
  • Treffen Sie im Alltag auf Hindernisse bei der Umsetzung?

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