Bildung und Gesundheit sind zwei ausserordentlich wichtige und kostenintensive gesellschaftliche Bereiche. Sie stehen im Brennpunkt des Interesses der Öffentlichkeit und der Akteure – und sie sind in hohem Masse reglementiert.
Das Careum Working Paper 7 «Umrisse einer neuen Gesundheitsbildungspolitik» ist entstanden auf Basis der Expertenworkshops am Careum Dialog 2012 und am Careum Dialog 2013. Die darin aufgestellten Postulate zu einer neuen Gesundheitsbildungspolitik schliessen hauptsächlich an zwei Argumentationslinien an. Dies ist einerseits der Lancet-Report «Eine neue globale Initiative zur Reform der Ausbildung von Gesundheitsfachleuten für das 21. Jahrhundert» und anderseits das europäische Rahmenkonzept «Gesundheit 2020» der WHO.
Fünf Postulate für eine zukuntsfähige Gesundheitsbildungspolitik
Die Autoren wollen diese Forderungen weiterdenken und weiterentwickeln und fügen teils bekannte Argumentationslinien neu zusammen, um daraus fünf Postulate für eine zukunftsfähige Gesundheitsbildungspolitik abzuleiten:
- Gesundheitsbildungsziele müssen auf Innovationsfähigkeit der Gesellschaft und die Gesundheitskompetenz der Bürger ausgerichtet sein. Bildung für die Berufe, die im Gesundheitssystem tätig sind, muss zu einem funktionen- und sektorenübergreifenden Denken und einer neuen professionellen Haltung führen.
- In der Gesundheitsbildungspolitik ist der Geltungsbereich auszuweiten. Nebst der Bildung für patientenbezogene Funktionen in der Krankenbehandlung müssen auch die populations- und organisationsbezogenen sowie die erkenntniserweiternden Funktionen hinsichtlich Regulierung und Finanzierung die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.
- Die Regierungen, die das WHO-Rahmenkonzept «Gesundheit 2020» verabschiedet haben, sind aufgefordert, eine Gesundheitsbildungspolitik zu etablieren. Den Gesundheits- und Bildungsministern fallen zentrale Advocacy-Rollen bei der Abstimmung mit den anderen Ressorts zu, insbesondere mit den Finanzen und der Volkswirtschaft, der Forschung und Innovation sowie der Rechtsetzung.
- Die Ausbildung für Funktionen im Gesundheitssystem muss nebst der fachlichen Expertise prioritär die Kooperationskompetenzen fördern. Diese Kompetenzen erfordern neue methodische und didaktische Ansätze, die sektorenübergreifende Prozesse, interprofessionelle Lernarrangements und Lernorte in der gemeindenahen Praxis umfassen. Für eine solche Aus- und Weiterbildung sind auch reflektierende Lehrende erforderlich, die diese anspruchsvollen Prozesse der Kompetenzaneignung moderieren können.
- Neben der zukunftsorientierten Ausbildung der Gesundheitsfachleute bedarf es einer parallelen Weiterbildungsstrategie für die derzeit im Gesundheitssystem Beschäftigten. Systematische und institutionell verankerte Weiterbildung, lebenslanges Lernen und die Entwicklung in Richtung lernende Organisationen sind essentiell für ein anpassungsfähiges und reformorientiertes Gesundheitssystem von morgen – parallel mit der Patienten- und Bürger-Gesundheitsbildung.
Diese fünf Postulate sind mit folgenden strategischen Massnahmen zu realisieren:
- Datengrundlagen und Wissen schaffen: die Forschung über das Gesundheits- und Bildungssystem stärken
- Bildungsinstitutionen verändern: mutige Annäherung an die Vision Gesundheitscampus zulassen
- Regulierung: Gesetze dem Bedarf anpassen
- Dialogstrukturen schaffen: eine kontinuierliche intersektorale Zusammenarbeit und Prozessmoderation ermöglichen
Überholte Bilder und Konzepte verändern
Die Postulate und die strategischen Massnahmen zeigen den politischen Steuerungsinstanzen, den Bildungsinstitutionen und den im Gesundheitssystem tätigen Unternehmungen, wie der Veränderungsprozess in der Bildung im Gesundheitssystem angegangen werden kann.
Diese Vision ist breit und umfassend: Sie nimmt nicht nur die Bildung für die Patientenversorgung im engeren Sinne und ihre Finanzierung in den Blick, sondern auch die Planung, die Steuerung und Führung des Gesundheitssystems sowie den Erkenntnisgewinn für Innovationen und die Unternehmensentwicklung.
Im Ergebnis soll dieser Ansatz überholte Bilder und Konzepte verändern und «transformatives Lernen» ermöglichen. Dieses soll von einem kurationslastigen und arztzentrierten, tendenziell paternalistischen Interventionsmodell zu einem systemischen Verständnis von Prozessen führen, das insgesamt mehr gesellschaftliche Teilhabe und bessere Gesundheit für alle und damit auch eine bessere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ermöglicht.